Pastoral im Sendungsraum

Ein Gespräch mit dem leitenden Pfarrer Michael Mohr

 

Herr Mohr, Sie sind seit 3 1/2 Jahren leitender Pfarrer im früheren Sendungsraum Mitte/Nord/ Süd (jetzt St. Clemens und St. Johannes der Täufer). Schildern Sie doch bitte, wie sich der Beginn Ihrer Arbeit dargestellt hat, was seitdem entwickelt wurde, und wie Sie die momentane Situation sehen.


Ja, hier nach Solingen bin ich zu diesem Zeitpunkt auch für mich selbst überraschend gekommen, weil ich schon nach drei Jahren in meiner zweiten
Kaplanstelle eine Pfarrstelle übernehmen durfte. Also erstmal kannte ich Solingen so nicht, da ich vorher in anderen Bereichen des Bistums unterwegs
war. Ich habe auch keine große Recherche betrieben, wie die Gemeinden so sind, und was meine Vorgänger gemacht hatten, um eher offen an die Aufgabe heranzugehen. Dann habe ich sehr schnell vor der Aufgabe gestanden, einen Sendungsraum mit insgesamt acht Pfarreien zu übernehmen, was sehr herausfordernd war und ist. Das erste Jahr war davon geprägt gewesen, Dinge anzusehen und aufzunehmen und die Menschen kennenzulernen, wobei das auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Zunächst haben wir relativ wenige Dinge entschieden. Erforderlich war eine Gottesdienstordnung für neun Kirchen, der
ein Pastoralteam mit vier oder auch nur drei Priestern gerecht werden kann ‐ mit einem vernünftigen und praktikablen Ergebnis. Nach einem halben Jahr kam dann die Aufgabe als Dechant dazu, die mit vielen Sitzungen verbunden ist. Trotz aller übergeordneter Aufgaben ist es mir wichtig, vor Ort zu sein und natürlich am Sonntag die Hl. Messe zu zelebrieren. Dabei will ich möglichst einmal im Monat in allen neun Kirchen präsent sein.

Als sich im Jahr 2018 abzeichnete, dass nicht in allen acht Pfarreien genügend Kirchenvorstandsmitglieder zu finden sein würden, mussten wir uns mit der strukturellen Zukunft in unserem Sendungsraum beschäftigen, damit wir eben auch nach 2020 noch handlungsfähig sind. Da wir jetzt zwei große Pfarreien mit zwei Kirchenvorständen haben, sind wir an dem Punkt, uns mit der pastoralen Zukunft befassen zu können und zu müssen: Wo sind unsere pastoralen Schwerpunkte und welche Ideen haben wir, den Menschen Christus nahe zu bringen?

 

Im kommenden Jahr werden auch die Pfarrgemeinderäte gewählt, die ja an der pastoralen Gestaltung der Gemeinde mitwirken. Welche langfristigen Projekte würden Sie gerne mit diesen oder anderen Menschen bis 2030 in Angriff nehmen?


2030 finde ich eine gute Perspektive. Aber jeder weiß auch, dass es total schwer ist, jetzt einen Masterplan für die Arbeit aufzustellen. Und nur darum geht es glaube ich auch nicht. Es könnten und sollten sich an vielen Orten Menschen finden, die Christus begegnen, den Glauben leben wollen. Es gibt viel mehr Möglichkeiten und Wege, den persönlichen Glauben selbst zu leben als ich mir das vorstellen kann: Es kann der klassische Familienkreis sein, das kann ein Gebetskreis sein oder das kann sich in Nachbarschaftshilfe zeigen. Wir sind im Augenblick an einem Punkt, wo wir ganz viel ausprobieren dürfen und ausprobieren müssen.

Weil sich in den nächsten Jahren ganz viel von dem, was wir seit Jahrzehnten gewohnt sind, ändern wird, müssen und wollen wir neue Wege gehen: Die Zahl der Hauptamtlichen im pastoralen Dienst wird sich halbieren, die finanziellen Mittel werden deutlich geringer werden, aber auch die Zahl der Gläubigen wird deutlich kleiner werden.
Ich würde dann nicht so sehr auf die Gremien oder die vertrauten Formen schauen, sondern mit allen etwas machen wollen, die ihrer Lust am Glauben Ausdruck verleihen wollen. Wir sollten so leben, dass man uns fragt, warum machst du das, warum betest du, warum hilfst du anderen ohne Lohn.

Ich glaube, es geht um das, was der Papst oder der Kardinal „Neuevangelisierung“ nennt. Es geht um die Freude am Glauben, die Freude an Jesus Christus und die Freude an der Gemeinschaft im Glauben.

 

Damit haben Sie ja schon Bezug genommen auf den pastoralen Zukunftsweg und das, was unser Erzbischof zu diesen Themen auch in seinem letzten Fastenhirtenbrief gesagt hat, wo er die Freude am Evangelium und eine dienende und ermutigende Leitungskultur angeregt hat.


In diesem Jahr fand ich zum einen die Form als Video‐Podcast und zum anderen den Inhalt konkreter und greifbarer. Mein persönlicher Bezug zum pastoralen Zukunftsweg bestand vor allen Dingen aus diversen Sitzungen, wo wir als Pfarrer mit dem Thema konfrontiert worden sind, wo immer neue Ideen und Ansätze gemacht worden sind. Zu den verschiedenen Arbeitsfeldern gab es Fokus‐Teams, die sich dann sehr konzentriert mit Teilbereichen befasst haben. Ich war in einem Fokus‐Team, das sich mit dem Begriff „Leadership“ (Führungskultur) beschäftigt hat, und in einer Arbeitsgruppe zur innerkirchlichen Kommunikation, die diese allen Seelsorgerinnen und Seelsorgern nahe bringen soll.

Ausgehend von den vielfältigen Visionen, die hier auf der Bistumsebene entwickelt werden, brauchen wir in unserem Seelsorgebereich und am besten an jedem Kirchort Innovatoren, also Leute, die vorangehen, die Ideen haben, die sich einbringen und dann die breite Mehrheit mitziehen. Solche Personen zu identifizieren und diese zur Mitarbeit zu motivieren, ist die Kunst, die uns hier in Solingen noch nicht umfassend gelungen ist.

Aus dem aktuellen Fastenhirtenbrief ergeben sich einige konkrete Anregungen, die wir aufgreifen könnten: Z.B. könnten wir unsere Kirchen im Sendungsraum einladender machen und eine echte Willkommenskultur in unseren Gemeinden entwickeln. Und wir dürfen den Mut haben, neue Initiativen zu ergreifen, beim sozialen Miteinander und besonders beim geistlichen Austausch in Gottesdiensten und anderen Zeiten. Und dabei brauchen liebe Traditionen nicht auf der Strecke zu bleiben, wenn sie noch gewünscht und gepflegt werden.

Und all dies kann so geschehen, dass der Einzelne, da wo er steht, einfach den ersten Schritt geht und mit anderen zusammen etwas beginnt.

 

Wenn sich jetzt jemand durch diesen Artikel angesprochen fühlt etwas zu tun, was soll die Person machen, an wen soll sie / er sich wenden?

 

Natürlich kann man sich an mich wenden – oder nach den Messen mit den Geistlichen sprechen, oder man ruft in einem unserer Büros an. Letztendlich ist es egal, an welcher Stelle etwas ankommt, weil die Ideen immer in unsere Teamsitzung kommen und wir darüber sprechen werden. Dabei geht es mir jedenfalls nicht darum zu verhindern, sondern eher darum, solche Dinge zu wissen, zu vernetzen und die guten Ideen zu unterstützen. Wir sollten alle mit Hoffnung und Zuversicht nach vorne schauen und die Zukunft aktiv gestalten.

 

 

Das Gespräch führte Stephan Mertens.