Berufung
Wenn in kirchlichen Kreisen von Berufung gesprochen wird, dann ist in aller Regel von einer Berufung zum Priestertum oder zum Ordensstand die Rede. Es scheint so, als hätte Gott nur die Stimme, die ins Kloster oder ins Priesterseminar ruft. Diese Blickfeldverengung ist zu überwinden, und die vielen Wege sind zu bedenken, auf denen Menschen ihre Berufung leben und verwirklichen können. Eine andere Vorstellung ist genauso fragwürdig. Die Annahme, es gebe nur ganz wenige Berufungen – eben die zu besonderen Aufgaben in der Kirche. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil die Gesamtkirche ja die Gemeinschaft der Berufenen ist.
Wer sich als Christ versteht und den Ruf Christi angenommen hat, gehört in den Kreis der Berufenen. Es ist also nicht zu fragen, ob einer berufen ist oder nicht. Vielmehr ist zu fragen, wohin der Einzelne gerufen wurde und was er einzubringen hat in die Gemeinschaft der Christen. Wenn gejammert wird, es gebe so wenige Berufungen zum Priestertum, dann könnte es doch sein, dass uns diese Tatsache gerade darauf aufmerksam machen soll, die Vielfalt und den Reichtum unterschiedlicher Berufungen zu erkennen. Vielleicht haben wir heute gar nicht zu wenig Berufungen. Was für ein Vorwurf an den rufenden Gott wäre das! Sondern wir unterscheiden zu wenig die besondere Eigenart des Vorhandenen.
Otto Betz
gefunden von Pfr. Gerd Breidenbach