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Karfreitag in der Severinstraße

Seit Februar 2014 befindet sich in St. Severin das Diptychon "Karfreitag in der Severinstraße" (1990), ein Schlüsselwerk von Jürgen Hans Grümmer (1935-2008).

St. Severin ist ein Gotteshaus mit einer 1600-jährigen Tradition, und aus etlichen dieser vielen Jahrhunderte finden sich auch Beiträge zur Kirchenausstattung. Auch unsere Zeit sollte vertreten sein - dies war eine maßgebliche Überlegung, als sich die Gelegenheit zum Ankauf eines noch jungen Werks bot, das zudem einen engen lokalen Bezug zur Kirche und zum Viertel hat.

 

Dazu schreibt Pastor Johannes Quirl:

Jürgen Hans Grümmer habe ich leider erst in seinen letzten Lebensjahren kennengelernt. Regelmäßig–unregelmäßig besuchte ich ihn in seiner lichten Dachwohnung, die ja gleichzeitig sein Atelier war. Immer wieder haben wir im wahren Sinne des Wortes Gespräche über ›Gott und die Welt‹ geführt. Nicht immer, aber oft war eins seiner Werke Ausgangspunkt dieser Gespräche. Manchmal ermunterte er mich einfach, ihm zu sagen, was ich in seinen Arbeiten sehe – eben auch in seinem Diptychon ›Karfreitag in der Severinstraße‹. So möchte ich hier nun genau dies tun: Erzählen, was ich in seinem Bild sehe – nicht mehr und nicht weniger.


[Jürgen Hans Grümmer: Karfreitag in der Severinstraße]©SilviaBins[Jürgen Hans Grümmer: Karfreitag in der Severinstraße]

 

Das Wort ›Kar‹ stammt vom ahd. ›Kara‹ und bedeutet soviel wie Sorge, Kummer. Den Kummer und die Sorgen, welche der verheerende 2. Weltkrieg mit sich brachte, hat Grümmer als Kind nicht nur (z.T. in der Eifel) selbst erlebt, sondern ihn wie in dem uns vorliegenden Werk sowohl biblisch rückgebunden als auch in unser ›Veedel‹ hinein aktualisiert.


[linke Bildhälfte][linke Bildhälfte]Die christliche Karwoche beginnt mit dem Palmsonntag.

An der linken Bildhälfte erkennen wir, in Farbe gehalten, die Gestalt Jesu auf einem Esel Richtung Jerusalem reitend, der Weg Palmzweigen geschmückt. Grümmer hat die Severinstorburg ans Ende dieses Weges gesetzt. Am rechten Bildrand ganz oben rechts erkennen wir ein kleines blaues Feld (Himmel?) und eine weiße geflügelte Figur (Engel?). Darunter in gold-gelb eine Figurengruppe über einem leeren Grab. Ich deute diese Szene als eine Andeutung auf Ostern.

 

Die linke Bildhälfte wird dominiert von einem am Haken hängenden weißen Gewand. Es erinnert zum einen an das Gewand Jesu, das ihm vor seiner Kreuzigung vom Leib gerissen wurde (Joh 19,23f), als auch an die entwürdigende Behandlung von KZ-Gefangenen, die ihre eigenen Kleider gegen die Häftlingskleidung austauschen mußten. Auf der rechten Seite findet sich eine gekrönte Figur, die ich als Pontius Pilatus deute. Der rechte Zeigefinger ist hindeutend–richtend nach vorne gestreckt, die linke Hand hängt fast unbeteiligt – sie wird sich (vergeblich) in Unschuld waschen.


[rechte Bildhälfte][rechte Bildhälfte]In der Mitte eine große leidvolle Gefangenen-Prozession. Sie beginnt bei einem Tor mit dem zynischen Spruch ›Arbeit macht frei‹. Diese findet sich bekanntermaßen in vielen KZs, so in Auschwitz, Theresienstadt, Sachsenhausen oder Dachau. In Wahrheit ging es um Vernichtung durch Arbeit. Am Anfang der Prozession steht das ›INRI‹ (das ›N‹ verdreht): ›Jesus von Nazareth, König der Juden‹. Wir erkennen eine großen Mauer (rechts) und die Ulrepforte (links) sowie einen vorausfahrenden LKW, der ein Kreuz geladen hat. Der Zug bewegt sich auf einen Balken mit Galgenhaken zu, auf dem der Spruch angebracht ist: ›Eli, Eli, lama asaphtani‹ (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? – Mt. 27, 46) – Diesen Anfang des 22. Psalms hatte nicht nur Jesus nach Matthäus und Markus in seiner Todesstunde am Kreuz auf seinen Lippen, sondern sicher auch viele in der Gaskammern der KZs.

 

Hinter dem Hakenbalken wartet wiederum die Severinstorburg auf den unheimlichen Zug.

Mich erinnert diese Szene auch an den 09.11.1992, als sich dahinter auf dem Chlodwigplatz etwa 100.000 Menschen zum Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit ›Arsch huh – Zäng ussenander‹ versammelten.
Charakteristisch noch die drei wie Clowns anmutenden, würfelnden Gestalten (vgl. Joh 19,24: ›…und warfen das Los um mein Gewand‹.)

 

In der unteren Bildleiste schließlich findet sich über dem Hahn, der die Verleugnung Jesu durch seinen Freund Petrus symbolisiert, zwischen den angedeuteten Kirchen St. Severin (katholisch) und Kartäuserkirche (evangelisch) eine schier unübersehbare Anzahl von Leidens- und Folterinstrumenten. Bis heute werden sie gegen Menschen eingesetzt.

 

 

www.juergenhans-gruemmer.de


 
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