Chorgestühl in St. Severin
Dienstagsabends in der Severinusmesse (oder "Hörnchensmess") können Sie in dem alten Chorgestühl
an der langen Tradition der Verehrung der Pfarrpatrone teilnehmen.
Ich möchte Sie anregen, dabei einmal Ihr Augenmerk auf dieses Chorgestühl zu
richten.
Seit Mitte des 13. Jahrhunderts befindet es sich in zwei Reihen an den Längsseiten des Hochchors. Es muss zu der damaligen Zeit schon ein recht großes Stift an St. Severin gewesen sein, denn 62 Kanoniker fanden hier Platz. Sie versammelten sich mehrmals täglich zum Stundengebet und zur hl. Messe. Unter den hochklappbaren Sitzen befinden sich dreieckige Konsolen, die sogenannten Miserikordien (von lateinisch misericordia = Mitleid, Barmherzigkeit). Bei eigentlich im Stehen zu verrichtenden Teilen des Chorgebetes dienten sie den Herren als unauffällige Sitzstütze. Das geflügelte Wort "halt die Klappe" soll in diesen Chorgestühlen seinen Ursprung haben, sozusagen als Warnung, weil es natürlich häufig vorkam, dass der Sitz aus der Hand rutschte und polternd herunterfiel.
Näher betrachten möchte ich nun mit Ihnen die Knäufe, die an jedem Sitz als Handstütze
angebracht sind. Eine Vielfalt an Schöpfung findet sich hier: Pflanzen, Tiere, Fabelwesen und
Menschenköpfe "Alles, was Odem hat, lobe den Herrn".
Dem damaligen Lebensgefühl entsprechend, versuchte man durch die Darstellung von
schreckenerregenden Gestalten Unheil abzuwenden.
Als originelles Beispiel mag auf der linken Seite in der unteren Reihe das bärtige, fratzenhafte Gesicht eines gnomenhaften Wesens dienen. Sein großer Kopf mit dem kleinen Körper kauert in einer Muschel, aus der die langen Beine heraushängen. Weiter finden wir hier zwei stark ausgeprägte Gesichter. Eines schaut keck mit seiner Stupsnase und dem leicht geöffneten Mund in die Welt, als habe es etwas mitzuteilen. Bei genauerem Hinsehen erkennt man die fein geschnitzten Ohren.
Sein Nachbar wirkt in sich gekehrt und nachdenklich. Der Mund ist schmal und geschlossen. Die aparte Hakennase und das vorstehende Kinn verleihen ihm individuelle Züge. Die Kopfbedeckung scheint eine Kappe mit aufgestellter Krempe zu sein.
Sind es Stiftsherren, die der Bildhauer uns überliefert hat?
Im 19. Jahrhundert wurde das Chorgestühl von dem Bildhauer Christoph Stefan restauriert.
Die Jahreszahl steht auf dem Halsband eines Hundes: Renovatum 1838 (rechte Seite, erste Reihe).
1978 wurden Eichenholzstücke des Chorgestühls dendrochronologisch untersucht mit dem Ergebnis: Die Bäume wurden um 1234 gefällt.
Vor noch gar nicht so langer Zeit stellte man fest, dass der Holzwurm in dem Gestühl sein Unwesen treibt. Viele von Ihnen können sich sicher noch erinnern, dass es wochenlang in Folie verpackt wurde, um dem gefräßigen Tier mit Chemiedämpfen den Garaus zu machen, was auch gelang.
Haben Sie jetzt Lust bekommen, die prachtvollen Schnitzarbeiten in Ruhe zu betrachten? Es
gibt noch viel mehr zu entdecken!
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Helga Muths