So erzählt Lotta J. zum Beispiel von Luisa, die als drittes von vier Geschwistern auf die Welt
kam und unter geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen leidet.
Luisa hat eine jüngere Schwester, die ebenfalls mit geistigen und körperlichen
Beeinträchtigungen lebt – die Mutter der vier Kinder ist alleinerziehend. Eine zweifellos
herausfordernde Lebenssituation für die ganze Familie.
Doch die schwierige Ausgangsposition, die das Leben Luisa gestellt hat, hält sie nicht davon ab,
ehrgeizig und voller Elan auch die Dinge zu erlernen, die zunächst schwerfallen. So erscheint sie
täglich voller Vorfreude und Motivation im Klassenraum. Häufig widmet sie sich mit großer
Leidenschaft dem Knetgummi, was ihre motorischen Fähigkeiten fordert und fördert.
Wenn Lotta J. ihre Schülerinnen und Schüler als mutig charakterisiert, dann spürt man ihren
Stolz und die Bewunderung für die Jugendlichen, die sich nicht von Hindernissen unterkriegen lassen
und sich trotz ihrer erschwerten Ausgangsposition nicht für den leichtesten Weg entscheiden. Dabei
betont sie die Motivation, über sich hinauszuwachsen, die sie im Klassenraum täglich erlebt – eine
Motivation, die durch den Ausblick auf das Fußballspiel am Wochenende oder ein besonderes
Musik-Event verständlicherweise tendenziell steigt.
Damit die individuelle Arbeit mit den Jugendlichen gelingen kann, spielt auch die
Zusammenarbeit mit Eltern – die sogenannte Arbeit im Dreieck, in der Schüler/innen, Eltern und
Lehrperson voneinander profitieren können – eine entscheidende Rolle. "Die Eltern sind als
Bezugspersonen die größten Experten, wenn es um ihre Kinder geht," davon ist sie überzeugt, und sie
erlebt mutige Eltern, die in der tiefen Liebe zu ihrem Kind nicht müde werden, alle nur möglichen
Türen zu öffnen, um neue Ansätze zu finden und ihre Lebensplanung kreativ zu gestalten. "Die
meisten Eltern wollen einfach das Beste für das Kind: dass das Kind in der Welt ankommt und
Perspektiven hat," das ist ihre Erfahrung als Lehrerin.
Mit den Sommerferien 2020 entlässt Lotta J. ihre Schüler/innen nicht ohne Wehmut in eine neue
Lebensphase: Der Einstieg ins Berufsleben steht an. Das bedeutet für einige Jugendliche, in
Werkstätten zu arbeiten, die auf ihre Einschränkungen eingestellt sind. Andere können – mit der
entsprechenden Unterstützung – auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Platz finden. Das ist für die
Schüler/innen der Förderschule ebenso ein Meilenstein wie für Absolventen von "Regelschulen":
Ablösung vom Elternhaus, der Arbeitsalltag, neue Freundschaften, neue Umgebung etc. markieren
Herausforderungen, die es zukünftig mutig zu bewältigen gilt.
Mit der Entlassung der Jugendlichen endet auch Lotta Jonas Zeit an der Förderschule. Sie
hatte die befristete Vertretungsstelle bewusst gewählt, um sich in der Schullandschaft auch über
das Referendariat hinaus weiter zu orientieren und eigene Stärken und Schwächen zu erkennen.
Inspiriert und motiviert durch die guten Erfahrungen wird sie nach den Sommerferien an einer
anderen Förderschule für Schüler/innen mit dem Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung" tätig
werden – für sie eine mutige Entscheidung zu einer längerfristigen Verpflichtung.
Katharina Welling und Ingrid Rasch