Gemeinsame Klänge tragen
Stefanie Manderscheid von der Pfarrbriefredaktion sprach mit Gerd Schmidt über seinen musikalischen Einsatz in der Pfarrei.Gerd Schmidt – seit 2001 in St. Severin – mit Leib und Seele Kirchenmusiker; ©SilviaBins
Einer der Höhepunkte im Kirchenjahr ist ein Gesang, nämlich das sogenannte „Exsultet“, ein
Lied der Freude über die Auferstehung Jesu. Sie selbst, Herr Schmidt, singen dieses Lied in der
Osternacht in Sankt Severin. Was empfinden Sie dabei?
Es ist für mich eine große Ehre, das Exsultet singen zu dürfen. Es berührt mich nach wie vor
tief! Obwohl ich es schon sehr lange singe, nämlich seit ich 18 bin. In meiner Heimatgemeinde war
der Pfarrer in die Jahre gekommen, so wurde ich gefragt, ob ich den Auferstehungsgesang übernehmen
könnte. Und nicht zufälligerweise wird ein Höhepunkt im Glaubensjahr nicht nur
gesprochen, sondern, wie eben dieses Exsultet, gesungen. Der Gesang spielt im Gottesdienst
eine zentrale Rolle.
Welchen Mehrwert hat denn der Gesang gegenüber dem gesprochenen Wort?
Das Sprechen ist die "Alltagsfunktion" der Stimme. Das Singen hebt die Stimme über diese
Alltagsfunktion hinaus und überhöht sie damit. Im Gesang intensivieren wir unsere Emotionen, unsere
Freude, unsere Sorgen, wir vertiefen die Texte, die wir singen.
Besteht nicht die Gefahr, dass der Gesang von Text und Gebet ablenkt?
Ich glaube es ist eher so, dass die Musik das Gebet verstärkt, es darf allerdings nicht zu
einer Eintönigkeit kommen. Ich finde es daher gut, Wechselgesänge zu singen, weil man dann in der
Rolle des Zuhörenden einerseits, aber auch des Übernehmenden ist, man muss sich also in einen
Dialog begeben. Schon Augustinus sagt "Wer singt, betet doppelt", und das stimmt, man legt einfach
mehr Kraft in die Worte.
Es gibt einige Kirchenlieder, die ich gerne schmettere, obwohl mir die Texte weniger
gefallen. Geht Ihnen das auch so?
Liedtexte aus früheren Jahrhunderten zeichnen ein anderes Gottesbild als im 21. Jahrhundert.
Da bin ich auch mitunter hin- und hergerissen, spüre aber zugleich, dass man diese Emotionalität,
die mit den Melodien verbunden ist, nicht einfach beiseite schieben sollte. Ganz konkret wird das
Thema für mich bei den Marienliedern im Mai, wo es ja sehr blumige Texte gibt. Die Menschen, und
nicht nur die älteren, singen sie gerne! Dabei scheinen Lieder wie "Maria Maienkönigin" oder "Segne
du, Maria" auch jüngeren Gläubigen heute gar nicht so fremd zu sein. Die Emotionalität, die durch
die Melodie transportiert wird, wird viel stärker wahrgenommen als der Text. Vielleicht macht erst
die Musik die Dichtung nachvollziehbar. Und darum sollte man alte Kirchenlieder, auch wenn sie uns
nicht unmittelbar zugänglich sind, nicht gleich aussortieren.
Ist das Singen für Sie eine Möglichkeit, religiöse Erfahrungen zu machen?
Ja, ich habe viele religiöse Erfahrungen durchs Singen gemacht, vor allem in der Zeit, als
ich noch im Chor gesungen habe.
Wenn ein Chor eine Messe singt, dann singt die Gemeinde weniger, besteht nicht die Gefahr,
dass die Gemeindemitglieder etwas ausgeschlossen werden und die Messe ein wenig zu einem Konzert
wird?
Ja, das ist für mich als Chorleiter und Kirchenmusiker eine Gratwanderung. Ich achte aber
immer darauf, dass es einen Dialog zwischen Chor und Gemeinde gibt. Der Chor singt bei mir immer
die feststehenden Teile der Messe. Die Gemeinde singt die anderen Lieder, die der liturgischen Zeit
entsprechen. Gerade an Weihnachten ist es wichtig, dass die Menschen die Weihnachtslieder selbst
singen können. Ich versuche das auszubalancieren, die Gemeindemitglieder sollen auch musikalisch
ihren Platz in den Gottesdiensten finden.
Ich habe den Eindruck, dass die Gottesdienstbesucher in unserer Pfarrgemeinde gerne und kräftig mitsingen. Außerdem bereichern unsere verschiedenen Chöre immer wieder die Liturgie. Gibt es dennoch aus Ihrer Sicht hinsichtlich des Gesangs Entwicklungsmöglichkeiten?
Ich würde gerne beim Gemeindegesang mit kleinen mehrstimmigen Gesängen experimentieren. Kleine
Taizégesänge mehrstimmig auszuprobieren, das fände ich spannend. Wir könnten auch für bestimmte
Ereignisse Projektchöre gründen. Ich denke da an Ostern. Wenn sich Sängerinnen und Sänger sozusagen
als Fastenimpuls in der Fastenzeit einmal in der Woche treffen würden und einen Gottesdienst für
einen der Osterfesttage vorbereiten würden, das fände ich sehr schön.
Wir haben ja auch eine Choralschola, die ich noch gerne etwas stärker in den Blick nehmen
würde. Auch mit einem Einkehrwochenende in einem Kloster, um aus dem Geist einer Gemeinschaft einen
Impuls zu erhalten, denn man erschließt sich diese besondere gregorianische Musik am ehesten, wenn
man aus dem eigenen Alltag ein bisschen raus ist. Das ist mir ein großes Anliegen, gerade auch in
einer romanischen Kirche, wie Sankt Severin eine ist.
Welche Teile in der Messe singen Sie selbst am liebsten?
Ich singe gern den Psalm nach der Lesung vor. Der ist mir auch sehr wichtig, weil ich es sehr
schön finde, diese Verbindung zur jüdischen Tradition zu haben.
Und was ist Ihr Lieblingslied?
Ganz klar: "Wie schön leucht uns der Morgenstern". Mir gefallen hier die großen barocken
Bilder und auch die kraftvolle Melodie, die sehr viel Energie hat und deswegen über Jahrhunderte
die Komponisten beschäftigt hat.
Gesungen wird im Gottesdienst und natürlich auch in den Chorproben immer gemeinsam. Wie
schätzen sie den sozialen Aspekt des Singens ein?
Der banale Satz "Wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen haben keine Lieder." stimmt
schon. Und wenn beispielsweise die Leute dienstags in den Kammerchor zur Probe kommen, sind sie vom
Alltag oft ziemlich ausgepowert. Ich merke, dass viele sich mit letzter Kraft zur Probe schleppen
und das Einsingen noch so nach "lass uns in Ruhe" klingt. Das ändert sich im Verlauf des Abends,
und die Leute richten sich auf, man sieht es förmlich an der Körperhaltung. Am Ende gehen sie
idealerweise mit einem Liedchen im Kopf aus der Probe. Also hat Singen auch eine therapeutische
Komponente. Singen führt dazu, dass man Abstand gewinnt, sich seelisch, aber auch körperlich
stärker wahrnimmt. Und es ist einfach toll in einer Gemeinschaft zu singen, weil die gemeinsamen
Klänge einen tragen.