Gerd Schmidt – seit 2001 in St. Severin – mit Leib und Seele Kirchenmusiker; ©SilviaBins
Einer der Höhepunkte im Kirchenjahr ist ein Gesang, nämlich das sogenannte „Exsultet“, ein
Lied der Freude über die Auferstehung Jesu. Sie selbst, Herr Schmidt, singen dieses Lied in der
Osternacht in Sankt Severin. Was empfinden Sie dabei?
Es ist für mich eine große Ehre, das Exsultet singen zu dürfen. Es berührt mich nach wie vor
tief! Obwohl ich es schon sehr lange singe, nämlich seit ich 18 bin. In meiner Heimatgemeinde war
der Pfarrer in die Jahre gekommen, so wurde ich gefragt, ob ich den Auferstehungsgesang übernehmen
könnte. Und nicht zufälligerweise wird ein Höhepunkt im Glaubensjahr nicht nur
gesprochen, sondern, wie eben dieses Exsultet, gesungen. Der Gesang spielt im Gottesdienst
eine zentrale Rolle.
Welchen Mehrwert hat denn der Gesang gegenüber dem gesprochenen Wort?
Das Sprechen ist die "Alltagsfunktion" der Stimme. Das Singen hebt die Stimme über diese
Alltagsfunktion hinaus und überhöht sie damit. Im Gesang intensivieren wir unsere Emotionen, unsere
Freude, unsere Sorgen, wir vertiefen die Texte, die wir singen.
Besteht nicht die Gefahr, dass der Gesang von Text und Gebet ablenkt?
Ich glaube es ist eher so, dass die Musik das Gebet verstärkt, es darf allerdings nicht zu
einer Eintönigkeit kommen. Ich finde es daher gut, Wechselgesänge zu singen, weil man dann in der
Rolle des Zuhörenden einerseits, aber auch des Übernehmenden ist, man muss sich also in einen
Dialog begeben. Schon Augustinus sagt "Wer singt, betet doppelt", und das stimmt, man legt einfach
mehr Kraft in die Worte.
Es gibt einige Kirchenlieder, die ich gerne schmettere, obwohl mir die Texte weniger
gefallen. Geht Ihnen das auch so?
Liedtexte aus früheren Jahrhunderten zeichnen ein anderes Gottesbild als im 21. Jahrhundert.
Da bin ich auch mitunter hin- und hergerissen, spüre aber zugleich, dass man diese Emotionalität,
die mit den Melodien verbunden ist, nicht einfach beiseite schieben sollte. Ganz konkret wird das
Thema für mich bei den Marienliedern im Mai, wo es ja sehr blumige Texte gibt. Die Menschen, und
nicht nur die älteren, singen sie gerne! Dabei scheinen Lieder wie "Maria Maienkönigin" oder "Segne
du, Maria" auch jüngeren Gläubigen heute gar nicht so fremd zu sein. Die Emotionalität, die durch
die Melodie transportiert wird, wird viel stärker wahrgenommen als der Text. Vielleicht macht erst
die Musik die Dichtung nachvollziehbar. Und darum sollte man alte Kirchenlieder, auch wenn sie uns
nicht unmittelbar zugänglich sind, nicht gleich aussortieren.
Ist das Singen für Sie eine Möglichkeit, religiöse Erfahrungen zu machen?
Ja, ich habe viele religiöse Erfahrungen durchs Singen gemacht, vor allem in der Zeit, als
ich noch im Chor gesungen habe.
Wenn ein Chor eine Messe singt, dann singt die Gemeinde weniger, besteht nicht die Gefahr,
dass die Gemeindemitglieder etwas ausgeschlossen werden und die Messe ein wenig zu einem Konzert
wird?
Ja, das ist für mich als Chorleiter und Kirchenmusiker eine Gratwanderung. Ich achte aber
immer darauf, dass es einen Dialog zwischen Chor und Gemeinde gibt. Der Chor singt bei mir immer
die feststehenden Teile der Messe. Die Gemeinde singt die anderen Lieder, die der liturgischen Zeit
entsprechen. Gerade an Weihnachten ist es wichtig, dass die Menschen die Weihnachtslieder selbst
singen können. Ich versuche das auszubalancieren, die Gemeindemitglieder sollen auch musikalisch
ihren Platz in den Gottesdiensten finden.