Diakon Dr. Barthel Schröder lädt dazu ein, ungewohnte Blicke auf das Kreuz zu wagen:
Fensterkreuze erschweren uns die Sicht. Kreuzungen verlangen immer wieder Entscheidungen über
die Richtung, die es einzuschlagen gilt. Menschen werden nicht selten aufs Kreuz gelegt. Oft werden
unsere Planungen und Vorstellungen durchkreuzt. Viele Menschen können nur weiterleben, wenn sie
eine schwere Krankheit oder eine starke Behinderung als Kreuz auf sich nehmen. Kreuze
überall.
Auch die Beläge unserer Straßen zeigen Kreuze: Bremsspuren, die sich kreuzweise überschneiden.
Einige dieser Markierungen stehen für ein abruptes und scharfes Bremsen, um zum Stillstand zu
kommen, andere für einen kurzfristigen Richtungswechsel. Weitere markieren den Ort eines
Zusammenstoßes. Diese Spuren sind Zeichen für mangelhaftes Aufpassen, für Rücksichtslosigkeit, für
Verfehlungen und Versagen.
In diesen Bremsspuren spiegelt sich unser alltägliches Leben. Arbeitslosigkeit, Krankheit,
Trennung können den Lauf des Lebens zu einem plötzlichen Halt bringen. Der eigene Weg ist nicht
vorgegeben, muss selber gesucht werden mit dem Risiko des Scheiterns. Umkehren, Abbiegen,
Einschlagen einer anderen Richtung sind alltäglich. Andere Menschen kreuzen den eigenen Lebensweg,
Zusammenstöße sind nicht ausgeschlossen. Auch unser Lebensweg ist geprägt durch fehlende
Sensibilität, Rücksichtslosigkeit, Verfehlungen und Versagen.
Der namhafte Künstler Gerd Winner, dem nicht nur im Jahr 2001 eine Ausstellung in St. Maternus
gewidmet war, sondern der auch die U-Bahn Station Piusstraße und die Kirche Hl. Kreuz in der
Lindenstraße gestaltete, hat in einem Altarkreuz (siehe Bild) diese Wegmarkierungen als Zeichen für
alltägliches menschliches Versagen dem Kreuz des Jesus von Nazareth gleichsam aufgeladen. Auf diese
Weise wird die menschliche Schwäche in die Kirche und in die Gottesdienste hineingetragen, wird das
eigene Unvermögen und Scheitern vor Gott bekannt.
Die Farben der Bremsspuren ändern sich im Laufe des Kirchenjahres. Das Schwarz-weiß in der
Advents- und Fastenzeit bringt die Verfehlungen ungeschminkt zum Ausdruck. Im Jahreskreis weisen
die Farben darauf hin, dass unser Alltag neben Verfehlungen (schwarz), Schmerz und Enttäuschungen
(rot) auch von einem blauen Himmel und Freude (gelb) geprägt ist. An den Hochfesten – Ostern,
Weihnachten und Pfingsten – leuchtet das Altarkreuz in Rot- und Gelbtönen als Hinweis auf
Kreuzestod (rot) und Auferstehung (gelb), siehe Titelbild.
Wenn Gerd Winner die Wegmarkierungen als Symbole für alltägliche menschliche Versagen dem Kreuz
des Jesus von Nazareth gleichsam auflädt, dann übersetzt er in unser heutiges Denken und Sehen das
Bild vom Lamm Gottes, dass die Sünde der Welt trägt und damit hinweg nimmt. Menschen, die alle
Vergehen und Verfehlungen losgeworden sind, können sich, so wie sie sind, ohne Bedingungen
und ohne Angst Gott nähern. Es gibt nichts mehr, was sie daran hindern könnte, auf diesen Gott zu
zugehen. Sie können sich sicher sein, von diesem Gott nie abgewiesen zu werden.
Und wenn dieser Jesus die Sünde der Welt trägt, und nicht nur einmal getragen hat, dann bedeutet
dies auch, dass Menschen immer wieder neu anfangen, die falschen Lebenswege verlassen können. Daran
erinnern die vielen Kreuze, die uns umgeben.
Barthel Schröder