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Lebendige Kirche mit Gegenwind

<em>Alfred Gehrmann traf sich am 22. Mai 2019 zum Gespräch mit Josef Embgenbroich (l.) ©SilviaBins</em> Alfred Gehrmann traf sich am 22. Mai 2019 zum Gespräch mit Josef Embgenbroich (l.) ©SilviaBins

Herr Embgenbroich, mit 80 Jahren treten Sie in eine neue Lebensphase ein. Welche Vorteile bringt die neue Zeit mit sich?
Ich erwarte den Ruhestand mit einer gewissen Skepsis. Ich werde bestimmt nicht alles an Aktivitäten und Freizeitgestaltungen fallen lassen, denn dann würde ich schnell versauern. Ich werde ein Mehr an Freiheit haben und lernen, die Zeiten zu füllen, wo "nichts dran" ist. Ich fahre auch weiter zur Uni und mache ein bisschen "Altes Testament-Studien".

 

Welche Hoffnungen und Erwartungen haben sich für Sie als Priester besonders erfüllt?
Der Kontakt mit den Leuten in allen Facetten von Problemen, in Familien, mit Krankheit, mit Arbeitslosigkeit, und natürlich die positiven Dinge, mit Jugendlichen zum Beispiel, da ist es mir besonders gut gelungen, hier den Kontakt aufzunehmen.

 

Der Priesterberuf gilt als verantwortungsvoll. Wo haben Sie diese Verantwortung besonders empfunden?
Ganz zentral bei der Gestaltung des Gottesdienstes. Ich habe die Gottesdienste immer gern gefeiert - die waren für mich eigentlich "vergnügungssteuerpflichtig". Trotz allen Abbaus von Kirche, trotz Kirchenaustritten und Rückgang des Kirchenbesuchs ist für mich immer noch die Feier des Gottesdienstes das Zentrum schlechthin, und das bedarf natürlich einer gründlichen Vorbereitung, das bedarf einer empathischen Nähe zu den Leuten, das ist für mich sowohl das Fordernde als auch gleichzeitig das Positive.

 
Angenommen, es hätte einen Einstellungsstopp für Priester gegeben – welchen Beruf hätten Sie alternativ ergriffen?
(Lacht laut) Eindeutig Lehrer für Deutsch und Geschichte, Religion sicherlich auch, aber dieses Fach war mir mindestens während meiner Gymnasialzeit schon etwas versauert, denn die Religionspädagogik in den 50er Jahren war eben vorkonziliar.
Die Befreiung von diesem Ländlichen und etwas Enggeführten in Euskirchen, diese Herausführung in eine Weite hat einen Namen für mich in meiner Laufbahn. Der Name ist Josef Ratzinger. Da sind Sie jetzt vielleicht überrascht, und über seine spätere Entwicklung brauchen wir auch gar nicht zu diskutieren. Aber als Professor hat er damals mich, und viele andere auch, aus den stereotypen Glaubensmustern herausgeführt.

 

Woher kommt Ihr besonderes Interesse an den Ostkirchen?
Mein Vater war im Ersten Weltkrieg als Soldat in der Ukraine gewesen und schwärmte davon. Von daher hat mich das auch fasziniert, und an der Uni Bonn gab es dann eine Abteilung für Ostkirche. Das Feierliche und zugegebenermaßen auch das Theatralische sprachen mich an, denn ich bin nicht nur rational konnotiert, sondern auch emotional, und da bin ich auch anders als andere Priester.

 

Was können wir von Menschen lernen, die außerhalb der Kirche stehen?
Ich muss schon fair sein, wenn die Leute mich fragen, ob ich wirklich glaube, was ich predige. Aber der Transzendenzverlust hat auch ethische Folgen. Diesbezüglich wird manches an Lebensgestaltung persönlich und gemeinschaftlich nur noch eindimensional gesehen.
Der Glaube an Gott muss völlig abgetrennt werden vom konkreten Erscheinungsbild der Kirche. Es gibt positive Beispiele wie Kardinal Kasper, der dazu auffordert, Frauen den Platz zu geben, der ihnen in der Kirche gebührt. Ich bin natürlich auf dieser Seite, es gibt aber "solche und solche". Hier in dieser unserer Pfarrei geben wir eine Visitenkarte ab, die wir auch kritischen Menschen in die Hand drücken können. Davon bin ich überzeugt.

 

Was wünschen Sie Ihrem Arbeitgeber Kirche, dem Unternehmen, das Sie in den Ruhestand verlassen?
Der Pfarrei und ihrem Pfarrer wünsche ich, dass dieser fröhliche Katholizismus in der Südstadt lebendig bleibt, auch wenn die kirchlichen Temperaturen sinken. Wir haben viel Gegenwind, aber das ist kein Grund zu knatschen. Ich bin schon für Traditionen, aber die Emotionen der Leute haben etwas damit zu tun, welches Bild wir abgeben. Jeder Skandal ist ein Peitschenhieb für diese Kirche. Weit über die Gemeinde hinaus ist die soziale Verflechtung der Kirche hinein in die Gesellschaft wichtig. Es geht um den Menschen, und der ist konkret: Leib, Seele, Geist, vielleicht auch religiöse Veranlagung, und in dieser Ganzheit muss er wahrgenommen werden.

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