Zu Fuss nach Kevelaer
In vier Tagen 160 km |
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Schon immer zog man donnerstags nach dem ersten Sonntag im September (Schutzengelfest und zugleich Spätkirmes) im Anschluß an die Pilgermesse, die um 5 Uhr begann, gegen 5.45 Uhr aus der Kirche aus. Das Gepäck hatte man vor dem Krieg zu Anton Müller, später zu Josef Schnitzler gebracht, die es auf einem Pferdefuhrwerk nach Kevelaer transportierten. Erst in späteren Jahren wurde ein motorisiertes Transportgefährt eingesetzt.
Natürlich war es noch dunkel, als man sich betend durch die Felder in Richtung Garzweiler aufmachte. Dort verweilte man vor dem Kreuz an der Landstraße, betete "Die fünf Wunden", um von Gott Schutz und Segen für die Wallfahrt zu erbitten. Der Weg führte über Priesterath weiter in Richtung Odenkirchen, wo man gegen 8.45 Uhr im Gasthaus Lüpgens zwecks Frühstückspause einkehrte. Da das Haus im Krieg stark beschädigt wurde, musste man in den Jahren 1946 - 49 im "Gasthaus Krone" verweilen. Die Verpflegung hatte man selbst mitgebracht. In der schlechten Zeit waren das Brote mit Rübenkraut oder Marmelade. Wer gute Kontakte zu einem der Großbauern besaß, konnte sogar einen Weck auspacken. Alles wurde auf dem Tisch ausgebreiet und gemeinsam verzehrt, so dass auch diejenigen, die nur wenig mithatten, satt werden konnten. Selbst die Tasse und den "Muckefuck" führte man bei sich. Das heiße Wasser dafür erhielt man gegen Bezahlung vom Gastwirt. Hinter Odenkirchen folgte das schwierigste Sück des Weges durch das schon vor 50 Jahren verkehrsreiche Rheydt und Mönchengladbach mit dem sehr holprigen Pflaster. Wer das zu Fuß nicht schaffte, fuhr mit der Straßenbahn bis Viersen-Ummern, wo man die Mittagsrast einlegte. Vor dem Krieg hatte man die Pause in einem Forsthaus hinter Mönchengladbach eingelegt, das allerdings durch einen Bombenangriff völlig zerstört wurde. Eine letzte Zwischenpause an diesem anstrengenden ersten Tag fand in Grefrath im "Haus Allen" statt. Von dort aus waren es nur noch acht Kilometer bis nach Wankum, dem Übernachtungsort. Die weißen Bäume am Weg waren das Zeichen baldiger Ankunft, die gegen 17.45 Uhr erfolgte. Trotz der großen Müdigkeit und Abgespanntheit ging man zunächst in die Kirche, um dort den sakramentalen Segen zu erhalten. Es soll nicht selten vorgekommen sein, besonders in der alten, düsteren Kirche, dass Pilger dort sogar in Ohnmacht gefallen sind. Im Gasthaus von Lorenz Posten machte man schließlich Quartier. Männer und Frauen schliefen gemeinsam in einem großen Saal, der mit Stroh ausgelegt war, jedoch getrennt auf unterschiedlichen Seiten. Geistliche, die die Pilgergruppe begleiteten, erhielten ein eigenes Zimmer. Dass alles moralisch einwandfrei ablief, dafür sorgte beispielsweise der nach dem Krieg Aufsicht führende Josef Schnitzler mit den Worten: "Pass bloß op, dat keiner mit de Bein aneinkütt!". Das aber war für Hucka Fritzche Anlaß genug, scherzhaft die "Geschlechtergrenze" zu überschreiten, was den Aufpasser sofort in Aktion brachte. Überhaupt hatten viele trotz der vorausgegangenen Strapazen noch einen Sinn für Humor. Es wurde gesungen und viel gelacht - selbst von denjenigen, die sich von den begleitenden Sanitätern wegen der Blasen an den Füßen behandeln lassen mussten. Da um 22.00 Uhr Bettruhe sein sollte, wurde das Licht ausgemacht. Kaum jemand war noch fit genug, um länger wach zu bleiben. Zweiter Tag - von Wankum nach Kevelaer War ein Geistlicher anwesend, fand eine kurze Morgenmesse statt, ehe man um 5.30 Uhr in die frische Morgenluft aufbrach. Nach einem kurzen Gebet am Wegekreuz hinter Wankum führte der Weg durch Straelen. Die Hoffnung, bald bei der Gottesmutter zu sein, beflügelte die Gedanken der Pilger. Dieses Verlangen soll, so eine Legende, einen Eremiten veranlaßt haben, in Straelen einen Erdhügel aufzuschichten, von dem aus er bereits die Wallfahrtskiche in Kevelaer erblicken konnte. Nach ihm soll diese Erhebung den Namen "Eremitenhügel" erhalten haben. Endlos lang und einsam erschien den Wallfahrern die Strecke bis Walbeck, wo sie beim Gastwirt Lamers ihr Frühstück einnahmen. Nach dieser letzten Stärkung konnte man es kaum erwarten, bis das Ziel erreicht war. Je mehr man sich Kevelaer näherte, umso lebhafter wurde es auf den Straßen. Viele Prozessionen kamen und gingen, Omnibusse und Fahrräder überholten die Fußgänger; auch bekannte Gesichter aus Königshoven fuhren vorbei. Schließlich war das Ziel erreicht, die Antonius-Station vor dem Ortseingang. Mit Fahnen und unter Gesang, angeschlossen die Radfahrer und alle, die mit Bus und Bahn gekommen waren, zog die Prozession in Kevelaer ein. Aufenthalt in Kevelaer Der Begleitwagen hatte das Gepäck bereits vor der Unterkunft abgestellt. Nun wurde das Pferd in einem großen Stall, in dem auch die Pferde anderer Pilgerzüge standen, untergebracht. Zu Mittag gab es eine dünne Erbsensuppe, auch "Herz-Jesu-Süppchen" genannt. Danach machte man sich ein wenig frisch, ruhte nach den Strapazen noch einen Moment, bevor sich alle um 14.30 Uhr an der Gnadenkapelle trafen, um gemeinsam den Kreuzweg zu gehen. Vor dem Krieg wurden zum Abschluß des Kreuzweges in der Pfarrkirche alle Bitten in einem langen Gebet noch einmal zusammengefaßt. Seit 1946 ging man zur Verehrung der hl. Fünf Wunden in die Wallfahrtskirche. In den späten Nachmittagsstunden hatten die Gläubigen noch die Möglichkeit zur hl. Beichte oder aber ihre Anliegen der Gottesmutter in der Gnadenkapelle vorzutragen. Während der Abenddämmerung kamen alle in Kevelaer weilenden Pilger nochmals zu einer Feierstunde vor der Gnadenkapelle zusammen. In einer Lichterprozession zog man laut betend und singend auf dem Kapellenplatz hin und her. Danach begaben sich alle zur Nachtruhe in die Quartiere. Dritter Tag - von Kevelaer nach Grefrath Die Haltestellen waren auf dem Rückweg die gleichen wie auf dem Hinweg. Nur fand die Übernachtung nicht mehr in Wankum, sondern in Grefrath auf der Kegelbahn des Hauses Allen statt. Früher hatte man auch zweitweise in Süchteln übernachtet. Vierter Tag - zurück nach Königshoven Langsam ging die Wallfahrt nun ihrem Ende zu. Nicht selten traf man schon in Jüchen auf die ersten Königshovener, die ihre Angehörigen mit dem Fahrrad abholen wollten. Auf dem Garzweiler Weg wurde es immer lebendiger, fast alle Pilger wurden von ihren Angehörigen nach Hause begleitet. Gegen 16 Uhr erreichte die Gruppe schließlich den Dorfeingang, von wo sie dann mit dem Pfarrer und den Meßdienern zur Kirche gingen, um dort den Schlußsegen zu erhalten. Viele Königshovener, die nicht an der Wallfahrt teilgenommen hatten, begleiteten die Heimgekehrten ins Gotteshaus; manchmal waren es mehr als 100. Nachdem der Pfarrer noch die Andenken, z.B. kleine Fähnchen, Kerzen und Honigkuchen gesegnet hatte, gingen alle erschöpft, aber glücklich nach Hause.
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