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Langes Warten auf Gleichberechtigung

Dr. Annette von Alemann vertritt die Soziologieprofessur für Soziale Ungleichheit und Genderforschung an der Universität Duisburg-Essen. Ungleichheit von Männern und Frauen ist eines ihrer Forschungsthemen. In diesem Beitrag geht sie der Frage nach, wie sich die Gleichberechtigung in Gesellschaft und Kirche entwickelt hat. Neben ihrer Arbeit bringt sie gemeinsam mit ihrem Sohn musikalische Talente in das Severiner Gemeindeleben ein.

 

"Männer und Frauen sind gleichberechtigt", heißt es in Artikel 3 des Grundgesetzes (1949). Dieser Artikel war ein wichtiger Meilenstein auf dem langen Weg der Frauen zur Gleichberechtigung. Schon während der Französischen Revolution entstanden erste Frauenclubs, die Gleichberechtigung und Wahlrecht für Frauen forderten, während die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte noch auf Männer beschränkt waren. In Deutschland wurden Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Frauenvereine gegründet, auch wenn sich Frauen noch nicht offiziell politisch betätigen durften. Wählen und gewählt werden durften sie erst ab 1918.


Die Geschichte der Gleichberechtigung erscheint uns heute als langer Kampf mit immer neuen Erfolgen und langen Phasen des Wartens. Trotz des Gleichberechtigungsartikels im Grundgesetz trat erst 1958 das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kraft. Bis dahin durfte der Ehemann über alle Fragen des Familienlebens entscheiden: Vermögen, Wohnort, Kindererziehung und vieles mehr. Er durfte seiner Frau auch verbieten, berufstätig zu sein – und sogar ihre Stelle kündigen. Erst mit der Eherechtsreform 1976 wurde Männern und Frauen eine gleichberechtigte Arbeitsteilung in Haushalt, Familie und Erwerbsarbeit zugesprochen. Bis dahin riskierten Frauen, die gegen den Willen ihres Mannes berufstätig waren und seiner Meinung nach ihre Pflichten in Haushalt und Kindererziehung verletzten, schuldig geschieden zu werden. Und das bedeutete: kein Unterhalt, kein Sorgerecht und soziale Ächtung. Noch bis in die 1990er Jahre durften Ehemänner Sexualität in der Ehe auch gegen den Willen ihrer Partnerin einfordern: Erst 1997 wurde dies als Vergewaltigung in der Ehe strafbar – wofür sich übrigens auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands einsetzte.


Dabei durften und mussten Frauen arbeiten, wenn es für das Überleben der Familie notwendig war – in der Landwirtschaft, im Familienbetrieb und in der Fabrik waren sie wichtige und billige Arbeitskräfte. Aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts durften Frauen studieren. Doch das sogenannte "Lehrerinnenzölibat", nach dem Frauen mit der Heirat ihre Arbeit aufgeben mussten – was vor allem gut ausgebildete Frauen betraf und in Deutschland bis 1951 angewendet wurde – war für viele Familien der Grund, eher Söhnen als Töchtern eine Ausbildung zu bezahlen. Bis heute verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als Männer, auch wenn die Lohngleichheit von Männern und Frauen seit den 1950er Jahren gesetzlich geregelt ist. Die durchschnittliche Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern pro Arbeitsstunde in Deutschland beträgt immer noch knapp 20 Prozent. Auch in vergleichbaren Positionen verdienen Frauen weniger als Männer.

 

Heute entscheiden Männer und Frauen frei über ihr Leben. Sie haben ähnliche Wünsche und Lebensziele, und Beruf und Familie sind ihnen gleich wichtig. 
Junge Frauen fühlen sich gleichberechtigt, und für viele junge Männer ist aktive Vaterschaft ein wichtiges Lebensziel. Dennoch übernehmen Frauen immer noch den größten Teil der Hausarbeit, kümmern sich um Kinder und ältere Angehörige. Auch in der Corona-Pandemie wurden Homeschooling und Kinderbetreuung überwiegend von den Müttern übernommen, während viele Männer im Homeoffice weiterarbeiten konnten. 
Insgesamt arbeitet fast die Hälfte aller berufstätigen Frauen in Teilzeit, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Bei den Männern ist es nur ein Zehntel. Und auch Elternzeit nehmen Frauen häufiger und länger als Männer, nämlich fast 15 Monate. Bei den Männern, von denen überhaupt nur ein gutes Drittel Elternzeit nimmt, sind es knapp vier Monate. Das hat Auswirkungen auf die Karriere – Frauen sind in gut bezahlten Fach- und Führungspositionen immer noch stark unterrepräsentiert – und auf die Rente. Auf die volle Gleichberechtigung warten Frauen also noch immer.

<em>Frauen leiten seit vielen Jahren Wort-Gottes-Feiern.</em> Frauen leiten seit vielen Jahren Wort-Gottes-Feiern.

Und auch in der Kirche hat das Warten kein Ende. In der evangelischen Kirche wurde 1958 die erste Pfarrerin ordiniert. Aber erst seit 1969 dürfen Pfarrerinnen auch heiraten. Und bis in die 1990 Jahre durften Pfarrer ein Veto gegen Kolleginnen einlegen. Noch heute ist Elternzeit von Pfarrerinnen und Pfarrern eine Seltenheit. 


In der katholischen Kirche sind Weihe-Ämter und damit Spendung der Sakramente nach dem Kirchenrecht noch immer auf Männer beschränkt. Doch inzwischen regt sich Widerstand. Schon 1999 forderte die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands die Zulassung von Frauen zu allen Diensten und Ämtern in der Kirche und erneuerte ihre Forderung im Jahr 2019, zusammen mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend und dem Katholischen Deutschen Frauenbund. Die Initiative Maria 2.0 initiierte im Jahr 2019 einen Kirchenstreik, um auf die Ungleichheit von Frauen und Männern aufmerksam zu machen: Frauen tragen die Arbeit der Kirche durch ihre ehrenamtliche Arbeit, dürfen aber keine Weihe-Ämter ausüben.

 

Die Geschichte der Gleichberechtigung ist also eine Geschichte des langen Wartens. Ein Warten, das immer wieder belohnt wurde: Frauen sind vor dem Gesetz gleichberechtigt, dürfen alle Ausbildungswege und Berufe ergreifen und erreichen inzwischen bessere Noten und Bildungsabschlüsse. Aber sie verdienen immer noch weniger Geld als Männer, übernehmen mehr unbezahlte Pflege- und Familienarbeit und dürfen in der katholischen Kirche keine Weihe-Ämter ausüben (und auch in der evangelischen Kirche sind sie in den höheren Positionen unterrepräsentiert). Viele Ungleichheiten haben sich eben doch nicht geändert – oder verändern sich nur langsam.


Angesichts der vielen Erfolge der Gleichberechtigung ist es ein hoffnungsvolles Warten, weil sich immer wieder Dinge bewegt haben und die Entwicklung zur Gleichberechtigung – das zeigen die vielen aktiven Bewegungen auch in der Kirche – nicht abgeschlossen ist. Gleichwohl ist es ein Warten mit ungewissem Ausgang.

Leseempfehlung aus unserer Bücherei:

Demel, Sabine: Frauen und kirchliches Amt. Grundlagen – Grenzen – Möglichkeiten (Re 4.3 Demel)

 

Eckholt, Margit: Ohne die Frauen ist keine Kirche zu machen. Der Aufbruch des Konzils und die Zeichen der Zeit (Re 4.3 Eckho)

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