Unser Gespräch findet am 20. Mai statt, zu diesem Zeitpunkt blickt die Familie schon auf eine
zehnwöchige Erfahrung mit der neuen Situation zurück und stellt fest: Teilen bedeutet Einschränkung
und Bereicherung zugleich.
Ungewohnt ist es, vor der Badezimmertür warten zu müssen oder auch nach dem Duschen komplett
angezogen das Bad zu verlassen; "Wir haben das von Anfang an mit Humor gesehen und konnten uns
schnell darauf einstellen", sagt Claudia G. Auch die Kinder konnten sich schnell auf die neue
Situation einstellen. Lotta teilt ihr Zimmer mit Pola; Ava ist mehrfach in der Wohnung umgezogen,
hat aber viel Spaß am "Leben aus dem Koffer" wie sie selber sagt.
Geteilt werden aber nicht nur die Räume – Schlafzimmer, Badezimmer, Küche, sondern auch Zeit.
Viele zeitraubende Gänge zu Behörden und Ämtern standen an. Yuliia hat inzwischen Arbeit gefunden
und Ivan einen Platz in der Schule; das zu erreichen kostete Zeit und Mühe. Wie lange dieser
Zeitraum des Teilens gehen würde, war nicht klar, alle haben entschieden, den Zeitraum offen zu
lassen.
"Es ist ein großes Glück diese beiden Menschen kennengelernt zu haben", sagen Claudia und
Gilbert G. "Wir führen interessante Gespräche und lernen eine für uns bislang unbekannte Kultur
kennen." Schön finden es alle, am großen Tisch zu sitzen und gemeinsam zu essen. Gemeinsam wird
zuvor der größte Topf gesucht, damit für acht Personen darin gekocht werden kann, ab und an gibt es
auch ein ukrainisches Essen.
Aber nicht alles ist leicht, denn wenn Yuliia und ihr Sohn aus der Heimat schlechte Nachricht
bekommen (der Ehemann und die Eltern sind in der Ukraine geblieben), dann wird nicht viel
gesprochen, man nimmt sich einfach in den Arm. Jede und jeder in der Familie trägt offenbar etwas
dazu bei, dass das Miteinander gelingt. So macht es zum Beispiel Lotta Spaß, beim Deutsch-Lernen zu
helfen, sie hat ganz viel Geduld und stellt selber fest, dass Deutsch eine schwierige Sprache ist.
Sehr bald war klar, dass Yuliia und Ivan den Wunsch hatten, sich in einer eigenen Wohnung zu
beheimaten. Ein großes Glück war, dass sich eine Wohnung in der Südstadt fand, die zum ersten Juni
bezogen werden konnte. Gilbert und Sohn Linus haben viel Zeit und Energie investiert, um die neue
Wohnung herzurichten. Sie haben sich um gebrauchte Möbel bemüht und sie in der Garage
zwischengelagert. "Dafür kann unser Auto jetzt mal draußen stehen", findet Gilbert G.
Mittlerweile ist ein freundschaftliches Verhältnis zwischen der Familie und den Gästen
entstanden. "Ich finde schade, dass die beiden ausziehen, sie gehören doch jetzt zur Familie",
meinen Ava und Pola und freuen sich, dass die Entfernung zur neuen Wohnung nicht groß
ist.