Ich bin doch nicht gewalttätig und ich spreche doch auch nicht so, dachte ich, als mich vor
vielen Jahren die Einladung zu einem Vortrag von Marshall B. Rosenberg erreichte.
Der große Saal im evangelischen Stadtkirchenverband war voll besetzt, und der amerikanische
Psychologe schlug mit seinem Charisma die Zuhörenden in Bann. Mit vielen Geschichten und unter
Einsatz von Wolf- und Giraffen-Handpuppen konnte er auf lebendige Weise vermitteln, wie die
Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation (GfK) dazu beitragen, dass Konflikte gelöst und
Unversöhntes versöhnt werden kann.
Der Wolf steht für eine agressiv-abwertende Sprache; die Giraffe für Einfühlsamkeit und
Wertschätzung.
In der Folgezeit besuchte ich mehrere Seminare und nahm über einige Jahre an einer
Übungsgruppe teil, um in meinem Alltag die Prinzipien besser einsetzen zu können. Ich mache die
Erfahrung, dass es ein lebenslanger Lern- und Übungsprozess ist.
1984 gründete Rosenberg in den USA das Zentrum für GfK, das auch heute, nach seinem Tod im Jahr
2015, weltweit Seminare anbietet, in denen trainiert wird, präzise und wertfrei zu formulieren.
Seine Methode wird in vielen Krisengebieten angewendet.
Hier seien nur einige Grundsätze genannt, die Anstoß oder Anregung sein mögen, sich näher mit
dieser Kommunikationsform zu beschäftigen.
GfK geht von der Voraussetzung aus, dass wir Menschen auf der Ebene der Bedürfnisse gleich
sind – alle Menschen brauchen Luft, Wasser, Essen, Wohnung, Sicherheit, Anerkennung, Sinn
usw.
Wenn wir das erkennen und anerkennen im Gegenüber und in uns, dann können wir verstehen,
warum jemand etwas tut, nämlich fast immer, um ein Bedürfnis zu befriedigen.
Ein wichtiger Unterschied besteht zwischen einem Bedürfnis und der Strategie, die benutzt
wird, um es zu befriedigen – das zu erkennen ist oft nicht einfach. Sehr oft läuft die Strategie
darauf hinaus, das Bedürfnis auf Kosten anderer zu erfüllen. Und das lässt kein zufriedenstellendes
Miteinander zu.
Eine Grundvoraussetzung im System der GfK besteht in der Annahme, jeder habe ein
Grundbedürfnis, dass es anderen gut gehe. Das heißt, mein Verhalten auf Kosten anderer kann auch
für mich keine wirkliche Zufriedenheit bringen. Aus diesen Annahmen hat sich in der GfK ein
System entwickelt, in dem es vier Schritte gibt:
-
Beobachtung: Am Anfang steht die Wahrnehmung und Beschreibung der Situation, ohne
jede Interpretation (nicht so leicht wie es klingt, denn sehr schnell fließen Wertungen und
Interpretationen in unsere Beobachtungen ein).
-
Gefühl: Erst dann geht es darum, eigene Emotionen wahrzunehmen und sie
auszusprechen.
-
Bedürfnis: Aus dem Gefühl lässt sich ein Bedürfnis erkennen (das Erkennen und
Benennen eigener Bedürfnisse ist ein zentraler Punkt und bedarf nach aller Erfahrung der
Übung).
-
Bitten: Wenn das Bedürfnis klar erkannt ist, sollte daraus eine Bitte erwachsen
(wichtig: eine Bitte um konkrete Handlung).
Diese vier Schritte betreffen das eigene Handeln, zugleich ist es wichtig, die Gefühle,
Bedürfnisse und Bitten des Gegenübers wahrzunehmen.
Ingrid Rasch
Wer sich näher mit der Thematik beschäftigen möchte, dem sei als "Einstieg" empfohlen das
Taschenbuch Marshall B. Rosenberg "Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation"– Ein
Gespräch mit der Journalistin Gabriele Seils
(Das Buch ist in unserer Bücherei entleihbar.)