Kirche unversöhnt?
Können wir in unserer Kirche – wie deren zukünftige Entwicklung auch sein mag – untereinander versöhnt bleiben? Wohin führt der Weg? Diakon Dr. Barthel Schröder geht der Frage nach, ob mit einer Spaltung zu rechnen ist.Skulptur im Jardin d'Etretat (Normandie) - Bild: privat
Der Eindruck täuscht nicht: Die Kirche zerfällt. Der Verlust an Mitgliedern und der sinkende
öffentliche Einfluss sind schon seit langem zu beobachten, haben aber durch den Missbrauchsskandal
und dessen halbherzige Aufarbeitung deutlich an Geschwindigkeit zugenommen.
Unabhängig von möglichen Reformen wird diese Entwicklung ungebremst weitergehen.
Verantwortlich hierfür sind die Altersstruktur unserer Gläubigen und die Welle weiterer Austritte.
Die Pandemie hat zudem durch ihre Einschränkungen nicht unwesentlich zu einer weiteren Entfremdung
beigetragen. Der trotz Erleichterungen zurückgegangene Gottesdienstbesuch zeigt dies deutlich. Am
Ende wird eine "kleine Herde" stehen und das überall in Europa.
Dass Reformen (demokratische Kirchenstrukturen, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Aufhebung des Zölibates, zeitlich begrenzte Ämter, mehr Freiheiten Rom gegenüber, überarbeitete Sexualmoral) gravierend daran nichts ändern werden, zeigt die protestantische Schwesterkirche. Dort ist alles das verwirklicht, was im Rahmen des synodalen Weges diskutiert und gefordert wird, und trotzdem gibt es einen ähnlichen Mitgliederschwund.
Sollte es zu grundlegenden Reformen kommen, so wird nach meiner Meinung die Kirche eine ähnliche
Entwicklung nehmen, wie das Judentum. Die Anpassung an neuzeitliche Vorstellungen hat dort dazu
geführt, dass sich das traditionelle Judentum in ein orthodoxes, konservatives und ein liberales
Judentum aufgespalten hat.
Während orthodoxe Juden ihr Leben ausschließlich an Thora und Talmud ausrichten (Feier des
Sabbats, koschere Ernährung, tägliche Gebete, Feier der Liturgie in Aramäisch/Hebräisch, Tragen
einer Kopfbedeckung, jüdische Abstammung allein über die Mutter), betont das liberale Judentum die
ethischen Gesetze und passt die rituellen Gesetze den Lebensumständen an (Liturgie auch in der
Landessprache, Ordination auch von Frauen zu Rabbinerinnen, Sabbat als reiner Ruhetag, jüdische
Abstammung auch über den Vater).
Je nachdem wie tiefgreifend die Reformen in unserer Kirche sein werden, besteht die Gefahr
einer Spaltung in einen orthodoxen, konservativen und einen liberalen Katholizismus. Anzeichen
hierfür sind heute schon erkennbar.
Mit den Pius- und Petrus-Bruderschaften ist bereits heute ein orthodoxer Katholizismus
entstanden, der nicht nur an der lateinischen Messfeier festhält, die hierarchische Struktur der
Kirche als unveränderbar betont, sondern auch die Weiterentwicklung von überlieferten
Glaubensinhalten durch das 2. Vatikanische Konzil ablehnt.
Im sich möglicherweise ausbildendenden konservativen Katholizismus wird man an der heutigen
Liturgie festhalten, Kleriker-orientiert bleiben und bei den Sakramenten die Traditionen
hochhalten. Gemeinden, die von Opus Dei getragen oder vom Neokatechumenat geprägt werden, zeigen
dies in Ansätzen bereits heute.
Der sich möglicherweise ausbildende liberale Katholizismus würde sich zunehmend in Richtung
der protestantischen Kirchen entwickeln. Die Ordination von Frauen, ein verändertes Bischofs- und
Papstbild und die Ablehnung einer römischen Bevormundung würden ihn prägen.
Die Angst vor einer solchen Spaltung wird, meiner Meinung nach, grundlegende Reformen
verhindern, zumal sie den Weg zur "kleinen Herde" höchstens verlangsamen würden.
Das Judentum hat die Spaltung überlebt, weil die wichtigsten religiösen Feiern, wie Sabbat
und Pessach, nicht in der Synagoge, sondern in der Familie gefeiert wurden und werden. Die
Bedeutung der Feier des Glaubens in der Familie muss die Kirche wiedergewinnen, will sie
überleben.
Wenn möglicherweise zukünftig die kontinuierlichen staatlichen Zahlungen durch eine
Einmalzahlung abgelöst werden und die Erhebung der Kirchensteuer von der Kirche selbst vorzunehmen
sein wird, dann wird die Kirche sich von vielen Aktivitäten freimachen müssen. Eine "kleine und
arme Herde" ist die Perspektive der Zukunft.
Erst blieb in unserer Kirche der Priesternachwuchs aus. Jetzt wird ihr durch Austritte und
staatlichen Eingriff das Geld genommen. Könnte es nicht sein, dass uns damit der Heilige Geist
kundtun will, dass der Herr eine völlig andere Gemeinschaft der an Ihn Glaubenden vor Augen
hat?
Im Judentum gibt es keine Versöhnung zwischen den unterschiedlichen Gruppen. Dies geht so
weit, dass konservative und liberale Juden von den Orthodoxen nicht als Juden anerkannt werden.
Hoffen wir, dass wir in unserer Kirche – wie die Entwicklung auch sein mag – untereinander versöhnt
bleiben werden.