Versöhnung fällt nicht vom Himmel – nicht bei Konflikten im Familien- oder Freundeskreis und
erst recht nicht, wenn es um unterschiedliche gesellschaftliche, politische oder religiöse
Kontroversen geht. Es braucht Zeit, es braucht Vorbereitung ...
Welche Voraussetzungen können Wegbereiter für versöhnliches Handeln sein? Welche Schritte in
einem solchen Prozess sind hilfreich und unterstützend?
Dr. Ingeborg Tiemann versucht, solche Voraussetzungen zu schaffen in einem Land, in dem
Gegensätze und kontroverse Ansichten oft extrem aufeinander prallen: in Israel und Palästina.
Tiemann hat im Generalvikariat Köln in der Frauenseelsorge gearbeitet bis sie – mit
verschiedenen Zwischenstationen – 2005 nach Israel ging, zunächst als Entwicklungshelferin im
zivilen Friedensdienst an der Bethlehem University; seit 2010 ist sie als Projektkoordinatorin in
einem Misereor-Projekt an palästinensischen Schulen in Ost-Jerusalem und der Westbank tätig.
"Das sind Schulen in christlicher Trägerschaft, die Kinder sind mehrheitlich muslimisch",
erklärt sie. Ihre Arbeit dort ist ein Misereor-Projekt, genannt "Junior Debating in the Middle
East". Konkret geht es darum, Debattieren in englischen Sprache fürJugendliche der Klassen 7 – 9 in
den Schulen zu etablieren. Dabei geht es um kritisches Denken, aber, das betont sie, "besonders
wichtig ist mir das soziale und emotionale Lernen. Indem ich die Schüler und Schülerinnen immer
Argumente für beide Positionen eines Debattenthemas erarbeiten lasse, hoffe ich, dass sie dabei
lernen, sich in andere hineinzuversetzen, also Empathie zu entwickeln."
"Der andere ist nicht mein Feind, sondern mein Opponent (Argumentationsgegner)" – das ist die
Hauptbotschaft des Projektes. Es geht darum zu verstehen, wie andere denken, zu verstehen, dass es
einen Unterschied gibt zwischen der Person, die spricht, und dem, was sie sagt.
Indem die Schülerinnen und Schüler Argumente für beide Seiten eines Themas suchen, verstehen
sie, dass es ernstzunehmende Gründe für jede kontroverse Position gibt. Das Debattieren ist genau
reglementiert. Respekt ist dabei das Zauberwort, aber auch geduldiges Zuhören und die Wertschätzung
für unterschiedliche Sichtweisen.
Aktuell geplant ist ein Debattierprojekt online – in englischer Sprache – gemeinsam mit einer
deutschen Schule in katholischer Trägerschaft. Mitte des Jahres soll es starten.
Ob die jungen Menschen dazu beitragen können, dass Versöhnungsprozesse in Gang kommen? Eine
wichtige Voraussetzung dafür haben sie eingeübt.