Warten spielt in meinem Leben als Mensch mit fortschreitender Erkrankung eine große Rolle. Ich
muss ständig warten – bei Ärzten, auf Krankenkassenbescheide, auf das Heilen der Wunde nach der
letzten Operation. Aber das Warten hat mich etwas sehr Wichtiges gelehrt: nämlich zu handeln.
Immer dann, wenn ich gerade nicht im Krankenhaus liege, wenn ich selbstbestimmt über mich und
meine Aktivitäten entscheiden kann, handele ich. Sofort. Ich habe gelernt, nichts aufzuschieben,
was mir wichtig ist. Ich entwickle Ziele, während ich zum Beispiel auf die Klinikentlassung warten
muss, und setze um, was ich mir vorgenommen habe – so schnell und konsequent es geht, denn ich weiß
genau, dass es erneut eine Phase geben wird, in der ich nicht mehr selbstbestimmt handeln
kann.
Und bevor die neue Phase des Fremdbestimmtseins anfängt, bereite ich möglichst viel vor, damit
zum Beispiel die beruflichen oder ehrenamtlichen Projekte trotz meiner Abwesenheit weitergehen
können. Das finden die anderen Beteiligten oft anstrengend: «Du hast doch noch viel Zeit, bis die
nächste Veranstaltung über die Bühne gehen soll, jetzt wart doch mal ab!», bekomme ich dann zu
hören. Aber ich weiß: diese lange Zeit bis dahin wird für mich nur aus sehr kurzen Zeitfenstern
bestehen.
Die Alternative wäre, sich dann eben angesichts der chronischen Erkrankung nicht mehr für
irgendetwas zu engagieren, in keiner Gruppe mehr mitzuarbeiten.
Abzuwarten, bis es schlimmer und schlimmer wird. Zu warten, dass vielleicht doch noch ein
Wunder geschieht und ich wieder gesund werde. Dass die Welt um mich herum barrierefreier wird,
damit ich mit dem Rollstuhl überall hinkomme. Dass mir eine rollstuhlgerechte Wohnung einfach so
zufliegt. Wird sich schon irgendwie ergeben, wenn man lange genug wartet …
Nein, wird es nicht. Das Wunder wird nicht kommen – ich werde nicht mehr gesund. Und stelle
mich darauf ein. Die Barriere-freiheit kommt nicht von allein, sie muss mühsam erkämpft werden. Um
eine rolligerechte Wohnung muss man sich rechtzeitig intensiv kümmern. Abwarten, bis man dann
tatsächlich gar nicht mehr in die Wohnung ohne Fahrstuhl raufkommt, ist sinnlos. Denn dann müsste
man jahrelang drauf warten, wieder selbstbestimmt zu wohnen und nicht im Heim.
Warten kann eine Tugend sein, wenn man damit die notwendige Geduld meint, die es braucht,
damit etwas Wertvolles wachsen und entstehen kann. Warten kann aber auch eine Ausrede sein, das
Schicksal nicht in die eigene Hand zu nehmen.
Ich kann mich aufregen, dass ich schon wieder stundenlang bei einem Facharzt warten muss
trotz monatelang vorher vereinbarten Termins. Oder: mir wirklich guten Lesestoff mitnehmen. Das
liegt allein an mir, wie ich mit dieser Zeit umgehe. Das heißt nicht, dass ich dann nicht der
Sprechstundenhilfe sage, dass ich nun wirklich dran bin nach zwei Stunden – aber ich bin nicht die
ganze Zeit schlecht gelaunt. Das würde eh nichts ändern, gar nichts. Wartezeiten können Kreativität
freisetzen – endlich mal der guten Freundin einen Brief schreiben, zum Beispiel während ich lange
zu Hause auf die Lieferung vom Sanitätshaus warte, die seit drei Stunden überfällig ist. Natürlich
rufe ich alle halbe Stunde dort an, mache Druck, damit was passiert – aber ich ärgere mich nicht
lange, sondern schreibe dann an dem Brief weiter.
Ich nutze fast jede Minute meines Lebens, um Lebensqualität zu retten, bevor das Warten auf
die erhoffte Lebensqualität jede Chance darauf zerbröselt. Das nervt, ist anstrengend, kostet
Kraft. Ich bin keine Heldin. Aber ich bin nicht bereit, mein Leben dem oft notwendigen Warten
unterzuordnen oder tatenlos zu warten, dass sich was zum Besseren wendet.
Ich setze dem Warten etwas entgegen und: handele.
B. F.
Geschafft – Ziel erreicht! Foto: Privat