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Warten? Handeln!

B. F. hat den Umgang mit dem Thema Warten durch ihre chronische Erkrankung gelernt… in mehrfacher Hinsicht. Sie hat gelernt, geduldig zu sein – aber auch, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und nicht darauf zu warten, dass sich von selbst eine Lösung ergibt. So hat sie sich aktiv eine rollstuhlfähige Wohnung gesucht und dafür in Kauf genommen, dass sie das Severinsviertel verlassen musste.

Warten spielt in meinem Leben als Mensch mit fortschreitender Erkrankung eine große Rolle. Ich muss ständig warten – bei Ärzten, auf Krankenkassenbescheide, auf das Heilen der Wunde nach der letzten Operation. Aber das Warten hat mich etwas sehr Wichtiges gelehrt: nämlich zu handeln.


Immer dann, wenn ich gerade nicht im Krankenhaus liege, wenn ich selbstbestimmt über mich und meine Aktivitäten entscheiden kann, handele ich. Sofort. Ich habe gelernt, nichts aufzuschieben, was mir wichtig ist. Ich entwickle Ziele, während ich zum Beispiel auf die Klinikentlassung warten muss, und setze um, was ich mir vorgenommen habe – so schnell und konsequent es geht, denn ich weiß genau, dass es erneut eine Phase geben wird, in der ich nicht mehr selbstbestimmt handeln kann.

 

Und bevor die neue Phase des Fremdbestimmtseins anfängt, bereite ich möglichst viel vor, damit zum Beispiel die beruflichen oder ehrenamtlichen Projekte trotz meiner Abwesenheit weitergehen können. Das finden die anderen Beteiligten oft anstrengend: «Du hast doch noch viel Zeit, bis die nächste Veranstaltung über die Bühne gehen soll, jetzt wart doch mal ab!», bekomme ich dann zu hören. Aber ich weiß: diese lange Zeit bis dahin wird für mich nur aus sehr kurzen Zeitfenstern bestehen.


Die Alternative wäre, sich dann eben angesichts der chronischen Erkrankung nicht mehr für irgendetwas zu engagieren, in keiner Gruppe mehr mitzuarbeiten. 
Abzuwarten, bis es schlimmer und schlimmer wird. Zu warten, dass vielleicht doch noch ein Wunder geschieht und ich wieder gesund werde. Dass die Welt um mich herum barrierefreier wird, damit ich mit dem Rollstuhl überall hinkomme. Dass mir eine rollstuhlgerechte Wohnung einfach so zufliegt. Wird sich schon irgendwie ergeben, wenn man lange genug wartet …


Nein, wird es nicht. Das Wunder wird nicht kommen – ich werde nicht mehr gesund. Und stelle mich darauf ein. Die Barriere-freiheit kommt nicht von allein, sie muss mühsam erkämpft werden. Um eine rolligerechte Wohnung muss man sich rechtzeitig intensiv kümmern. Abwarten, bis man dann tatsächlich gar nicht mehr in die Wohnung ohne Fahrstuhl raufkommt, ist sinnlos. Denn dann müsste man jahrelang drauf warten, wieder selbstbestimmt zu wohnen und nicht im Heim.


Warten kann eine Tugend sein, wenn man damit die notwendige Geduld meint, die es braucht, damit etwas Wertvolles wachsen und entstehen kann. Warten kann aber auch eine Ausrede sein, das Schicksal nicht in die eigene Hand zu nehmen.


Ich kann mich aufregen, dass ich schon wieder stundenlang bei einem Facharzt warten muss trotz monatelang vorher vereinbarten Termins. Oder: mir wirklich guten Lesestoff mitnehmen. Das liegt allein an mir, wie ich mit dieser Zeit umgehe. Das heißt nicht, dass ich dann nicht der Sprechstundenhilfe sage, dass ich nun wirklich dran bin nach zwei Stunden – aber ich bin nicht die ganze Zeit schlecht gelaunt. Das würde eh nichts ändern, gar nichts. Wartezeiten können Kreativität freisetzen – endlich mal der guten Freundin einen Brief schreiben, zum Beispiel während ich lange zu Hause auf die Lieferung vom Sanitätshaus warte, die seit drei Stunden überfällig ist. Natürlich rufe ich alle halbe Stunde dort an, mache Druck, damit was passiert – aber ich ärgere mich nicht lange, sondern schreibe dann an dem Brief weiter.


Ich nutze fast jede Minute meines Lebens, um Lebensqualität zu retten, bevor das Warten auf die erhoffte Lebensqualität jede Chance darauf zerbröselt. Das nervt, ist anstrengend, kostet Kraft. Ich bin keine Heldin. Aber ich bin nicht bereit, mein Leben dem oft notwendigen Warten unterzuordnen oder tatenlos zu warten, dass sich was zum Besseren wendet.
Ich setze dem Warten etwas entgegen und: handele.
   

B. F. 

  <em>Geschafft – Ziel erreicht! Foto: Privat</em> Geschafft – Ziel erreicht! Foto: Privat

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