Abwarten und Tee trinken?
Warte-Experiment mit Marshmallows
Vom Warten aus christlicher Perspektive
Der Deutsche verschläft durchschnittlich 24 Jahre seines Lebens, verbringt 12 Jahre vor dem Fernseher und sucht 2 ½ Jahre irgendwelche Schlüssel. Angesichts dieser Zahlen scheint die Dauer, die wir mit Warten verbringen, verschwindend gering zu sein: Bloß 374 Tage unserer Lebenszeit warten wir auf die Bahn, stehen wir vor roten Ampeln oder an Supermarktkassen, sitzen wir in Wartezimmern oder hängen in Warteschleifen.
Bloß …!
Warten will gelernt sein
Als Kind erntete ich auf die Frage: "Wann sind wir endlich da?" oft ein "Du hast doch Warten gelernt!". Tatsächlich ist Warten nicht angeboren. Das bewies in den 1960er Jahren der Psychologe Walter Mischel. In einem Experiment bekamen Kinder einen Marshmallow angeboten und hatten die Wahl, diesen sofort zu verputzen oder 15 Minuten zu warten, bis sie einen zweiten bekämen. Jedes Vierte aß den Marshmallow sofort, 30 Prozent schafften es, zu warten und die doppelte Ration zu erheischen. 2014 wiederholte man in Osnabrück den Versuch, diesmal mit deutschen Kindern und solchen aus Kamerun. Das Erstaunliche: Während es wieder gut 30 Prozent der deutschen Kinder schafften, mit dem Essen der Marshmallows zu warten, schafften es 70 Prozent der Kinder aus Kamerun. Warten, so die Erklärung, hat mit Erziehung zu tun. Während deutsche Kinder zu Unabhängigkeit und Eigenständigkeit erzogen werden, wozu auch gehört, sich für seine Bedürfnisse einzusetzen, scheinen Kinder in Kamerun zu lernen, sich unterzu-ordnen und gehorsam zu sein, was die Fähigkeit des Wartens mit einschließt.
Warten in biblischer Perspektive
Es wäre interessant zu erforschen, ob Christen gegenüber Nichtchristen einen Warte-Vorteil
haben. Immerhin unterziehen sie sich Jahr für Jahr vor Weihnachten einem vierwöchigen
Wartetraining: der Adventszeit.
Warten ist eine Grundkategorie jüdisch-christlichen Denkens. Die ganze Bibel durchzieht das
Warten wie ein roter Faden. Abraham und Sarah etwa warten eine gefühlte Ewigkeit auf Nachkommen,
das Volk Israel ganze 40 Jahre auf das Erreichen des gelobten Landes. Nach dem Untergang der
Monarchie im Volk Israel erwacht mit der prophetischen Hoffnung auf ein Wiedererstehen des
Königtums auch das Warten auf den Messias, der für Recht, Frieden und Gerechtigkeit sorgen werde.
Während Juden bis heute auf diesen Messias warten, sehen Christen diesen in Jesus von
Nazareth bereits in die Welt gekommen: Das feiern wir Jahr für Jahr an Weihnachten. Im Kind in der
Krippe erkennen und glauben Christen den menschgewordenen Gottessohn, der nach seinem Tod und
seiner Auferstehung zu seinem Vater in den Himmel zurückkehrt und einst wiederkommen wird: Darauf
warten wir bis heute.
Ärmel hochkrempeln und mit anpacken
Christen sind demnach nicht nur Wartende im Stau oder an der Wursttheke, sondern auch
Wartende auf Jesus. Wartende auf die Durchsetzung seiner Königsherrschaft. Wartende auf die volle
Gemeinschaft mit Gott, die wir je persönlich am Ende unseres Lebens erhoffen.
Auch wenn Christen nicht per se die geduldigeren Menschen sein müssen: Das Warten ist ihnen
mit in die Wiege gelegt. Sie sind immer schon Menschen "in Wartestellung". Nicht Menschen mit der
Haltung: "Abwarten und Tee trinken", sondern Menschen, die – obschon sie noch auf Jesus warten –
die Ärmel hochkrempeln und die Welt in seinem Sinne gestalten sollen. Für dieses "tätige Warten"
wirbt Jesus im Gleichnis vom anvertrauen Geld (vgl. Matthäusevangelium Kapitel 25, Verse 14 bis
30). Ein Herr geht auf Reisen und vertraut seinen Dienern in unterschiedlichen Teilen sein Vermögen
an. Zwei der Diener beginnen sofort, mit dem anvertrauten Geld zu wirtschaften, der dritte vergräbt
es aus Angst, er könne alles verlieren. Bei seiner Wiederkehr lobt der Herr die Tüchtigkeit der
beiden Diener, die sein Geld verdoppelt haben. Den Dritten rügt er ob seiner Verzagtheit. Er habe
die Zeit des Wartens vertan und die ihm geschenkte Chance nicht genutzt.
Tätiges Warten
Tätiges Warten bedeutet also, die uns geschenkten Talente im Sinne Jesu einzusetzen, um die
Welt in seinem Sinne ein klein bisschen besser zu machen. Nicht abzuwarten und Tee zu trinken,
sondern in die Hände zu spucken und mit anzupacken. Mehr Aufbruch wagen statt Stillstand; mehr
Gerechtigkeit üben statt Ichbezogenheit; mehr Reue zeigen statt Selbstverliebtheit; mehr
Nachhaltigkeit leben statt Leben auf Kosten anderer.
Wo immer uns dieses "Mehr" gelingt, und sei es noch so zaghaft, haben auch wir mindestens
zwei Marshmallows verdient.
Frohes (tätiges) Warten nicht nur aufs Christkind wünscht
Ihr und Euer Dominik Schultheis