Ohne Worte – aber nicht sprachlos
Dr. Peter L., (49), verheiratet und Vater von vier Kindern ist mit vier älteren Geschwistern in der Südstadt aufgewachsen. Der Facharzt für Gastroenterologie, Diabetologie und Allgemeine Innere Medizin ist als Chefarzt am St. Hildegardis Krankenhaus in Köln-Lindenthal tätig. Michael Wissen fragt, ob ihm als Arzt manchmal Worte fehlen."Ich bin sowohl im privaten Familienumfeld als auch im Beruf mit vielen Worten umgeben", das ist seine erste Antwort. Für ihn haben seine Worte dann eine besondere Bedeutung, wenn bei einer Untersuchung erste Anzeichen oder sogar deutliche Hinweise auf eine nicht heilbare schwere Erkrankung – z.B. eine Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse – zu erkennen sind. Bei manchen Patienten zeichnet sich dieser Befund aus heiterem Himmel ab.
"Diese Situation macht mich dann erst einmal innerlich sprachlos. Dabei habe ich einen Menschen vor Augen, der nicht von einer solchen schweren Diagnose ausgeht oder sogar ohne die geringste Ahnung zu mir gekommen ist."
Ernsthaft, aber nicht direkt in aller Offenheit – so führt er aus seiner langen Erfahrung
heraus dann die ersten Gespräche mit den betroffenen Patienten. Seine Worte sollen zu diesem
Zeitpunkt keine Endgültigkeit vermitteln, sondern deutlich machen, dass dies der Beginn eines
gemeinsamen Prozesses ist, dessen Ausgang noch nicht abschließend feststeht. Es sind noch wichtige
Schritte bis zur Klärung der abschließenden Diagnose gemeinsam zu gehen.
"Ich plane solche wichtigen Gespräche ganz bewusst nicht an einem Freitag ein, da ich aus der
Erfahrung weiß, dass die drängenden Fragen der Patienten häufig erst nach ein, zwei Tagen aufkommen
und am Wochen-ende im Krankenhaus nur ein eingeschränkter Betrieb stattfindet. Ich möchte dem
Patienten signalisieren, dass ich zur Beantwortung aufkommender Fragen oder einem allgemeinen
Gesprächsbedarf auch zur Verfügung stehe."
Bestätigt sich im Laufe der folgenden Zeit die Diagnose, dann kommt der Zeitpunkt wo dies
auch ausgesprochen werden muss. Manchmal begegnen ihm dann Patienten mit großer Traurigkeit, und es
entstehen Momente und Situationen ohne Worte. "Ich lasse dieses Innehalten und Schweigen zu und
zeige, dass ich in der Situation einfach da bin. Das ist nicht immer einfach, aber für die
Patienten nach meiner Erfahrung besonders wichtig. Ich sehe mich in solchen Situationen immer als
der aktiv Handelnde. Auch wenn ich selber schweige, bin ich nicht ohne Worte. Die Professionalität
gibt mir die Möglichkeit, im Sinne des Patienten zu agieren und ein konkretes Signal für ein
Gesprächsangebot zu geben."
Es ist ihm wichtig zu vermitteln, dass mit der Diagnose nicht die letzten Worte zwischen Arzt
und Patient gesprochen sind, dass es nicht den einen Weg für die Zukunft gibt. Die nachfolgenden
Gespräche sollen die Möglichkeiten ausloten und eine Perspektive für die kommende Zeit entwickeln.
In dieser Phase kann er immer auf verschiedene professionelle Ansprechpartner – unter anderem
Schmerztherapeuten und Psycho-onkologen – im Krankenhaus zurückgreifen. "Ich bin nicht mehr der
alleinige Ansprechpartner für den Patienten und dessen Angehörige. Worte von anderen Menschen
helfen allen Betroffenen, die Diagnose zu verstehen und damit umzugehen. Und meine Verant-Wortung
wird geteilt. Das ist für mich eine große Hilfe."
Es gibt Situationen, in denen sich für ihn eher das Gefühl von Sprachlosigkeit oder fehlenden
Worten einstellt. Das entsteht durch Angehörige, die auf maximalen Therapiewünschen bestehen bei
Patienten, für die aus ärztlicher Sicht keine sinnvolle Therapie mehr möglich ist und nur eine
Verlängerung des Leidens damit erreicht würde. Hier wäre aus seiner Sicht zum Beispiel eine
palliative Versorgung ein sinnvollerer Weg.
"Ich komme hierbei häufig an einen Punkt, der mit 'was soll ich dazu noch sagen' zu
beschreiben ist. Eine Art menschlicher Sprachlosigkeit. Meine sonst so wichtige aktive Rolle, im
Reden mit meinem Gegenüber einen Prozess anzustoßen und gemeinsam eine gute Lösung zu suchen,
weicht einer rein passiven bzw. reaktiven Rolle. Der Handlungsspielraum beschränkt sich dann
entweder auf eine klare Ablehnung medizin-ethisch nicht zu vertretender Maßnahmen oder eben auf die
Umsetzung der geforderten Maßnahmen. Das ist kein menschlich geführter Prozess, sondern Handeln
nach medizin-juristischen formalen Kriterien. Das hat mich in meinen Anfangsjahren immer lange
beschäftigt. Heute hake ich das einfach ab."
Die Frage ob die im Berufsalltag gesprochenen Worte und Situationen persönlich nachwirken und
der Bedarf besteht, sich darüber auszutauschen, antwortet Peter Loeff überraschend klar: "Ich kann
gut meine beruflichen und privaten Dinge trennen und gedanklich abschalten. Wenn ich das
Krankenhaus verlasse, bleiben alle gesprochenen Worte dort."