Jakobsmuschel mit Symbolen für Alltägliches (Linsen), Besonderes (Samen) und Kostbares (Perlen) Foto: privat
Kommt es vor, dass Dir bei einem Einsatz als Notfallseelsorgerin die Worte fehlen?
Wenn die Notfallseelsorge von der Leitstelle gerufen wird, sind die Angaben zum Einsatz meist
sehr knapp. Informationen zum Geschehenen bekommt man erst vor Ort. Man hat nur wenige Minuten, um
sich auf die Situation einzustellen. So ist mir ein Einsatz in Erinnerung, bei dem das ganze Ausmaß
der Tragödie sich Stück für Stück zusammensetzte und mich sprachlos machte. Eine junge Frau war
seit Jahren magersüchtig. Alle Therapieversuche und Hilfsangebote waren über die Jahre
fehlgeschlagen. Einen Urlaub ihrer Eltern nutzte sie, um ihr Leben durch aktive
Nahrungsverweigerung zu beenden. Das Innehalten im Gebet bei der Aussegnung (Segensritual am
Totenbett) war für mich sehr entlastend.
Gibt es so etwas wie die richtigen Worte?
Wir sind oft auf der Suche nach den richtigen Worten, besonders wenn es um traurige
Ereignisse geht. Jede Situation ist natürlich individuell. Beim Überbringen einer Todesnachricht
sind Worte klar, präzise und ohne Umschweife auszusprechen: Für mich die richtige Form zu Beginn
eines oft unfassbar schmerzlichen Prozesses für die Angehörigen.
Gibt es für Dich so etwas wie ein Geländer, an dem Du Dich orientieren kannst?
In der Ausbildung sind uns Orientierungspunkte an die Hand gegeben worden, die uns durch
einen Einsatz geleiten können. Im Mittelpunkt steht mein Gegenüber, ein Mensch in einer
Krisensituation. Ich versuche, mich in den anderen „hineinzufühlen“, mit ihm auszuhalten und sein
Befinden zu verbessern. Zum Beispiel gebe ich durch Informationen Orientierung, rege zu eigenen
Handlungen an und trage so zur Stabilisierung bei. Ich hole den Verstorbenen in die Mitte, lasse
mir ein Bild zeigen, zünde eine Kerze an.
Und ich öffne Perspektiven für den Alltag … Wer muss informiert werden, wir tätigen gemeinsam
einen Anruf … , klären, wer die weitere Begleitung übernehmen kann.
Gibt es überhaupt die "richtigen" Worte?
Ja, ich denke schon, so wie es auch unpassende Worte gibt. Aber es müssen nicht immer Worte
angebracht sein, manchmal sind es auch Gesten oder
gemeinsames Schweigen.
Wo holst Du Dir selber die Kraft für diese Arbeit?
Um Kraft zu schöpfen ist es wichtig, nach einem belastenden Einsatz sich etwas Gutes zu tun
und die Sinne zu entspannen. Ich gehe gern auf lange Wanderungen und genieße die Natur.
Aber auch der Einsatz selbst kann eine Kraftquelle sein.
In meinem Leben gibt es eine Fülle von Erfahrungen und Begegnungen, froh machende und
schmerzliche, die mich geprägt haben. Daraus kann ich schöpfen. Es ist eine Fülle von Alltäglichem
(Linsen), Besonderem (rote Samen) und Kostbarem (Perlen). Symbolisch für die Grundlage der Fülle
ist auf dem Bild die Jakobsmuschel, weil ich als Suchende auf dem Weg bin. Die Grundlage ist meine
tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben, die verbunden ist mit der österlichen Hoffnung.
Wer voller Hoffnung ist, kann mit Menschen Krisenmomente aushalten … dabei geht es oft nicht
um konkrete Worte … manchmal fehlen sie gar nicht.