Elisabeth Wessel (2. v. l.) und Giovanni Gullotta (l.) trotz großem Abstand in intensivem Austausch mit Alfred Gehrmann ©SilviaBins
Was hat den Schreibprozess ausgelöst?
G. Gullotta: Im Kirchenvorstand haben wir angeregt, dass wir uns als engagierte Gemeinde in
irgendeiner Form zum Umgang mit dem Missbrauch und dem damit verbundenen Unmut äußern sollten. Das
wurde sofort aufgegriffen und dann auch schnell mit der Frage des Pastoralen Zukunftsweges
verknüpft. Zielgruppe sollten die Gemeindemitglieder sein und die Menschen im Veedel.
Welche Wirkung habt ihr euch erhofft?
G. Gullotta: Wir haben gesagt, wir schreiben uns das jetzt mal von der Seele.
In den letzten Monaten war es durchaus etwas Besonderes, sich zu seinem Engagement in einer
katholischen Kirchengemeinde zu bekennen. Das Besondere an unserem Schreiben war ja, zu erklären,
warum wir trotz aller eigenen Zweifel weitermachen: Bei uns ist es anders. Wir meckern nicht nur,
sondern wir öffnen eine Tür. Wer z. B. aus der Kirche austritt, bleibt in unserer Gemeinde
willkommen. Was das alles dann auslösen würde, haben wir so nicht erwartet.
E. Wessel: Wir haben uns gegenseitig erzählt, was die Leute sagen und mit welcher
Emotionalität sie reagieren. Das war sehr eindrücklich, und es hat unsere eigene Motivation
gestärkt, diesen Brief zu schreiben. Es gibt so viele Menschen, die das betrifft und aufregt.
Dadurch hat das Schreiben auch zur eigenen Meinungsbildung beigetragen. Wir haben uns zunächst
wenig Gedanken gemacht, welche Reaktionen wir erwarten. Wir wollten nur etwas Vernünftiges
fabrizieren.
Wo waren die Knackpunkte im Entstehungsprozess?
E. Wessel: Zu Beginn des Schreibprozesses ging es darum, erst einmal wahrzunehmen, was die
anderen in der Gruppe zu dem Thema denken.
G. Gullotta: Wir haben z. B. überlegt, dass Resignation kein gutes Stichwort ist, denn unsere
Aktion ist das Gegenteil von Resignation. Es gab in der Gruppe einerseits die Haltung, unser Brief
sei viel zu brav, andererseits baten andere bis zum Schluss um weniger konfrontative
Formulierungen. Letztendlich hat unsere lange Diskussion dazu beigetragen, dass der Text wirklich
eine gute Sprache hat und die Dinge klar benannt werden.
Wie sind die Reaktionen zu euch gekommen?
G. Gullotta: Die Mails an die Antwortadresse waren für uns alle einsehbar. Natürlich meldeten
sich viele aus der Gemeinde, die schrieben: Ich bin stolz auf diese Gemeinde, macht weiter so. Und
es meldeten sich Leute aus der Schweiz, aus dem Ruhrgebiet oder aus Schleswig-Holstein. Das
Bewegende war, dass Viele sehr persönliche Dinge schrieben. So gab es seitenlange handgeschriebene
Briefe von Menschen, denen Kirche wichtig ist, die ganz viel gerungen haben, oder die schon
ausgetreten sind – Menschen mit schlechten Erfahrungen, auch Betroffene.
E. Wessel: Es kamen über 100 Schreiben, die große Sorge um die Zukunft der Kirche von Köln
ausdrückten und Ermutigung, sich zu den Themen klar zu äußern. Alle haben eine persönliche Antwort
bekommen von einem Mitglied unseres Teams.
Was bedeuten diese Reaktionen für euch?
E. Wessel: Die Verknüpfung des Missbrauchsthemas mit dem Pastoralen Zukunftsweg wurde
gewürdigt, weil es auch hier den Zusammenhang gibt zwischen Vertrauen und gemeinsamer Gestaltung
der Zukunft. Wir haben uns bestätigt darin gefühlt, unsere Bemühungen auf diese Gemeinde und unser
Viertel zu konzentrieren. Richtig erfolgreich wird der Brief für mich, wenn wir es schaffen, den
Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Auf die, die uns geschrieben haben, sollten wir weiter
zugehen. Wir sind gut darauf vorbereitet, unsere Gemeinde selbst zu gestalten, und ich sehe nicht
wirklich, was uns aus der Bahn werfen könnte. Wir sollten uns weiter dafür interessieren, was die
Menschen hier im Veedel brauchen, denn so folgen wir als Pfarrgemeinde unserem Auftrag und bleiben
lebendig.