Ein offenes Ohr für „das Wort, das tröstet und befreit.“(Detail Kirchenfenster in St. Karl Borromäus, Köln-Sülz) ©privat
"Gibt es hier keine Beichtstühle mehr?" fragt ein Besucher der Severinskirche Marianne Ricking,
die Dienst im Besucherservice tut. Sie verneint und erklärt fast verteidigend, dass nach unserer
Erfahrung Menschen eher eine andere Form des Beichtgespräches suchen. Und sie hört erstaunt: "Gott
sei Dank, dass die Beichtstühle weg sind, aber ich möchte beichten. Wie kann ich denn einen Termin
vereinbaren?"
Mit diesem Wunsch im Sinn geht Marianne Ricking in das Gespräch mit Volker Weyres über seine
Gedanken zur Beichte:
Manche unserer Leserinnen und Leser kennen möglicherweise die Beichtpraxis in länger
zurückliegender Zeit nicht – wie kann man die beschreiben?
Ältere Menschen kennen noch die Gewohnheit oder vielmehr die Pflicht, samstags zur Beichte zu
gehen, kleine und/oder große Verfehlungen dem Priester (der im Beichtstuhl unsichtbar hinter einem
Gitter saß) gegenüber auszusprechen und auf das Wort der Lossprechung von den Sünden zu warten,
nicht ohne die Verpflichtung zu einem festgelegten Gebet als "Buße". Selbstverständlich galt die
Beichte als Voraussetzung für den sonntäglichen Kommunionempfang. In manchen Ländern und
Volksgruppen gibt es diese traditionelle Beichtpraxis auch heute noch.
Warum ist heute das Sakrament der Versöhnung, die Beichte, aus dem Leben der meisten
Katholiken hier in unseren Breiten verschwunden?
Ganz wenige Menschen haben die Beichte erlebt als eine Hilfe und Stärkung, sich von
Verwicklungen in ihrem Leben zu befreien, eine Erlösung von Schuld zu finden. Es war vielmehr ein
Instrument der Disziplinierung, auch und gerade im Bereich der Sexualität. Der Beichtspiegel
(gedacht als Orientierungshilfe zur Gewissenserforschung) war ja dazu angelegt, sich Übertretungen
der zehn Gebote bewusst zu machen. Und jetzt ist eine Generation herangewachsen, die spürt: Das
brauche ich nicht, ich versuche verantwortlich zu leben.
Die Menschen möchten also eigenständig Verantwortung übernehmen?
Ja, die Kirche hat lange Zeit die Erwachsenen wie Kinder behandelt. Menschen von heute
möchten nicht mehr gegängelt werden. Sie möchten wahrgenommen werden als eigenständige und
verantwortungsbewusste Christen. Wenn heute so selten gebeichtet wird, dann liegt das nicht daran,
dass die Menschen etwa gottlos oder verantwortungslos wären. Sie lehnen die beschriebene alte Form
der Beichte ab. Eine Zeitlang gab es Bußgottesdienste als Alternative zur Einzelbeichte, da haben
viele Menschen für sich wichtige Impulse des Nachdenkens und der Versöhnung erfahren.
Manche kamen von weither zu diesen Gottesdiensten. Dieser positive Schritt der Kirche ist
dann leider zurückgenommen worden mit der Erklärung, das sei "minderwertig" und ersetze die
Einzelbeichte mit ihrem sakramentalen Charakter nicht. Mit Sakrament ist ja ein Ritual gemeint, bei
dem in einer sichtbaren Handlung die unsichtbare Wirklichkeit Gottes gegenwärtig wird.
Und was geschieht in diesem Sakrament der Versöhnung? Warum braucht es das
Gespräch?
Versöhnung geschieht eigentlich in einem Dreiklang – das sind drei Schritte oder drei
Aspekte, die untrennbar zusammengehören: Es geht um die Versöhnung mit den dunklen Seiten in mir,
um die Versöhnung mit den Mitmenschen, denen ich etwas "schuldig" geblieben bin, beides schließlich
als Voraussetzung zur Versöhnung mit Gott. Das Gespräch ist eine wichtige Hilfe dazu. Natürlich
kann ich auch allein "in mich gehen" und nachdenken, aber in einem Gespräch, mit einem Gegenüber
entstehen oft neue Perspektiven. Das ist offenbar eine Erfindung des Schöpfers, dass wir dieses
Gegenüber brauchen. Ich erlebe, dass es Menschen dann gelingt, Last abzuladen, sich Schuld
einzugestehen und auch zu entdecken, welche konkreten Schritte herausführen können aus einer
Verwicklung im eigenen Leben. Mit sich ehrlich zu sein, eigene Verantwortung, ja auch Schuld
anzuerkennen und das zum Hergott hinzubringen, das schafft Heilung und Versöhnung.
Wie wichtig sind Worte oder auch Gesten, damit die Versöhnung spürbar wird?
Wichtig ist ein geschützter, ungestörter Raum und die Erfahrung, dass der Priester für den
anderen ganz da ist. Wichtig ist auch das Wissen um die Pflicht des Priesters zur Verschwiegenheit,
zur unbedingten Wahrung des Beichtgeheimnisses. Bevor der Priester am Ende des Beichtgespräches die
entscheidenden Worte der Lossprechung sagt, legt er die Stola um als Zeichen, dass er in diesem
Augenblick ein besonderes Amt ausübt: Er gibt der Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen seine
Stimme. Dazu hat die Kirche eine bestimmte Form der Lossprechung entwickelt, ein äußeres Zeichen
für einen inneren Vorgang. Ich selbst erlebe es als etwas unfasslich Tiefes, dass ich zusprechen
darf "Ich spreche dich los von deinen Sünden", und ich darf das nur sagen, wenn deutlich wird, dass
der andere sich in dem vorhin genannten Dreiklang auf den Weg gemacht hat.
Gibt es einen Wunsch für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass Menschen wieder mehr von dieser Chance im Sakrament der Versöhnung
erfahren und sie ergreifen.