Kirche beim Wort genommen: Pfingsten
Dichte III, 2011 (9x13cm) ©Regina Kochs
Das Wort Pfingsten geht auf das griechische Wort für fünfzig (pentecoste) zurück und weist daraufhin, dass das in der Apostelgeschichte berichtete Ereignis fünfzig Tage nach Ostern stattfand. Die Sendung des Geistes Gottes und seine bleibende Gegenwart unter denen, die an Jesus als den Auferstandenen glaub(t)en, machte die Kirche als Gemeinschaft erst möglich. Daher feiert man an diesem Tag auch die Entstehung der Kirche.
"Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam
plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das
ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten;
auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen,
in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab." (Apostelgeschichte)
Die Jünger sind zusammengekommen, um als gläubige Juden fünfzig Tage nach Pessach das sog.
Wochenfest zu begehen. An Pessach gedachte man der Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft, am
Wochenfest des Empfangs der zehn Gebote auf dem Berg Sinai.
Warum die Apostelgeschichte das Pfingstwunder gerade auf diesen Tag legt, macht die Predigt
des Petrus als Interpretation dieses Geschehens deutlich. Durch die Auferweckung Jesu an Pessach
hat sich Gott erneut offenbart: "Gott hat ihn zum Herrn und Christus gemacht, diesen Jesus, den ihr
gekreuzigt habt". Befreiung aus Ägypten und Erlösung von Sünde und Tod, sowie Gabe der Zehn Gebote
auf dem Berg Sinai und die Offenbarung dieses Gottes in Jesus werden durch die fünfzig Tage bewusst
gegenübergestellt und miteinander verbunden, um das neue Tun Gottes zu verdeutlichen.
Die Befreiung aus Ägypten und die Übergabe der zehn Gebote betrafen allein die zwölf Stämme
Israels. Die Offenbarung Gottes in Jesus und die Verkündigung der durch den Kreuzestod bewirkten
Erlösung richtet sich hingegen an alle "Völker unter dem Himmel". Daher werden im Sprachwunder
fünfzehn Sprachen genannt, weil damals fünfzehn Sternzeichen die gesamte Welt beschrieben. Wie die
Stämme Israels die Befreiung aus Ägypten und die Thora von Generation zu Generation weiter-gegeben
haben, so soll nun die Kirche als weltweite Gemeinschaft die Offenbarung Gottes in Jesus bewahren
und durch Verkündigung weitertragen. Christlicher Glaube bedarf der Kirche als Gemeinschaft der
Gläubigen.
Hinter den "Zungen wie von Feuer" steht ein Wortspiel. Im Hebräischen wird "Zunge" und
"Sprache" durch das gleiche Wort wiedergegeben. Mit diesem Wortspiel wird zum Ausdruck gebracht,
dass der Geist Gottes Sorge trägt, dass die Verkündigung alle Menschen unabhängig von der Vielzahl
der Sprachen erreicht.
Wenn der Heilige Geist nicht mit seinem Sturm gekommen wäre, dann wäre aus diesen wenigen
Jüngern niemals eine so große Gemeinschaft von Glaubenden entstanden. Heute scheint dieser Wind
Gottes in der Kirche zu fehlen. Diesen Eindruck hat es im Laufe der Geschichte immer wieder
gegeben. Im Gegensatz zu heute haben sich die Menschen damals aber gefragt, ob nicht eigenes
Fehlverhalten zu dieser Windstille beigetragen hat.
Wir brauchen nicht zu verzagen, denn Gott schickt seinen Geist. Wir müssen nur aufmerksamer
sein, denn nicht selten ist es nur ein leiser Windhauch in den Zeichen der Zeit. Wohin will uns der
Geist Gottes führen, wenn nicht genügend Priester für die Gemeinden zur Verfügung stehen?
Wohin will uns der Geist Gottes führen, wenn durch den massenhaften Austritt aus der Kirche
in absehbarer Zeit nicht mehr genug Geldmittel für die vielfältigen karitativen Aufgaben zur
Verfügung stehen werden? Wohin will uns der Geist Gottes führen, wenn die zahlreichen
Missbrauchsfälle und der Umgang mit den Opfern das tradierte Priesterbild und das kirchliche System
radikal in Frage stellen?
Sind nicht die aktuellen Maßnahmen wie Bildung großer Seelsorgeeinheiten, Flucht in
juristische Auseinandersetzungen zum Leidwesen der Opfer des Missbrauchs und Aufrufe zum Sparen
neben neuen, rein persönlich motivierten, teuren Projekten "geistlose" Handlungen?
Der "Synodale Weg"* kann ein geeignetes Mittel sein, den leisen Windhauch des Geistes zu
vernehmen.
Barthel Schröder
* Ein auf zwei Jahre angelegter Beratungsprozess in der katholischen Kirche Deutschlands, in dem kirchliche Amtsträger (Deutsche Bischofskonferenz) und "Laien" (Zentralkomitee der deutschen Katholiken) miteinander zentrale Fragestellungen beraten, und zwar so, dass alle kirchlichen Strukturen, die Mitbestimmung der Gläubigen, der Zugang zum Weiheamt, der Zölibat, die Stellung der Frau, die verkündete Sexualmoral und mögliche Leitungsformen der Gemeinden offen diskutiert werden können.