An einem Sonntagabend um 20 Uhr, im Sommer 1975 – ich war noch Ordensschwester – stehe ich an
einer großen Kreuzung in Paderborn und warte auf die Grünphase. Zu mir gesellt sich ein Polizist.
Weit und breit kein Auto zu sehen, und ich denke bei mir mit einem verstohlenen Blick auf den
Polizisten: "Stündest du nicht neben mir, ich hätte schon längst die andere Straßenseite erreicht."
Als das rote Ampelmännchen sich absolut nicht in das grüne verwandeln will, spüre ich, dass meine
Geduld zu Ende ist, und ich spreche meine Gedanken offen aus: "Wissen Sie, wenn Sie hier nicht
stehen würden, hätte ich schon längst die andere Straßenseite erreicht!" Der Polizist daraufhin
schmunzelnd: "Schwester, und wenn Sie hier nicht stehen würden, wäre auch ich schon lange drüben."
Und so überqueren Polizist und Ordensschwester gemeinsam bei roter Ampel die Straße.
M.R.
Vertrauen ehrt
1965, Ferien-Freizeit mit Jugendlichen im Berner Oberland (Schweiz). Tageswanderung über einen
breiten Bergrücken von Lauterbrunnen nach Kandersteg. Nach zwei Dritteln der malerischen Wegstrecke
kommt uns eine deutsche Familie entgegen. Kurzes Hallo und Austausch über die wunderschöne
Wanderroute. "Wir hatten geplant, nur die halbe Strecke zu gehen und dann nach Kandersteg
zurückzukehren, weil da unser Auto steht.", so der Familienvater. "Jetzt würden wir gern den ganzen
Weg bis Lauterbrunnen gehen und dann mit dem Zug nach Kandersteg zurückfahren, aber es wird zu
spät, da fährt kein Zug mehr. Sie machen das Ganze doch sicher in umgekehrter Richtung."
Allgemeines Kopfnicken aus unserer Gruppe. Dann, an mich gewandt: "Sie haben doch sicher einen
Führerschein. Könnten Sie dann, statt mit dem Zug mit unserem Auto um den Bergrücken herum durch
das Tal nach Lauterbrunnen fahren und den Wagen dort am Bahnhof abstellen? Die Autoschlüssel werfen
Sie einfach durch den Fensterschlitz." Schon hielt er mir die Schlüssel hin, nannte Autotyp und
Kennzeichen und stapfte mit seiner Familie davon. Dann lief alles wie vorausgedacht; Fazit, nicht
nur für diese kuriose Begegnung in den Bergen: Vertrauen ehrt – und verpflichtet.
R.W.
Eine sättigende Begegnung – in jeder Hinsicht …
Puh. So grad noch geschafft! Ich falle atemlos auf die Sitze im Zugabteil. 6 Stunden Fahrt
liegen vor mir – und ich habe noch nicht einmal geschafft, richtig Proviant zu besorgen. Hab noch
schnell die zwei restlichen Äpfel und die drei Tomaten aus der Schale genommen und die Flasche
Mineralwasser gegriffen. Aber nichts, was wirklich satt macht, und einen Speisewagen gibt es hier
nicht. Na, ich werds schon überstehen. Da geht die Tür zum Abteil auf und eine junge Frau stürmt
rein, völlig aus der Puste. Während der Zug anrollt, stößt sie hervor: "Meine Güte, das war knapp.
Und ich hab noch nicht mal richtig Verpflegung für die lange Fahrt. Nur Brot und Käse, aber nichts
Frisches, nichts zu trinken … gibt’s hier einen Speisewagen?" "Nein", sag ich, "einen Speisewagen
gibt’s hier nicht. Aber ich hab frisches Obst und Gemüse und Mineralwasser. Ich hatte auch keine
Zeit mehr für richtigen Proviant. Wie wäre es, wenn wir beide teilen, was wir haben – dann werden
wir zusammen satt?" Sie strahlt mich an. Wir machen dann ein wunderbares gemeinsames Picknick und
verbringen die Fahrt mit bereichernden Gesprächen. Als sie aussteigt, habe ich das Gefühl, eine
gute alte Freundin zu verabschieden.