Stefanie Manderscheid gibt Besucherinnen und Besuchern der Kirche gern Auskunft. ©SilviaBins
Seit gut drei Jahren arbeite ich beim Besucherservice in der Severinskirche mit. Falls unsere
Strichlisten stimmen, und davon gehen wir jetzt mal aus, hatten wir in dieser Zeit gut 100.000
Besucherinnen und Besucher. 47 Stunden pro Woche ist die Kirche geöffnet und der Empfang besetzt,
davon habe ich, natürlich abgesehen von Urlaubszeiten und Krankheiten, jeweils neun Stunden
übernommen. Wenn man die unterschiedlichen Besucherzahlen je nach Tages- und Jahreszeit einmal
außer Acht lässt, dann bin ich während der letzten drei Jahre ungefähr 19.000 Menschen in der
Severinskirche begegnet.
Das ist nur eine ganz grobe Rechnung, denn es gibt ja viele Besucher, die immer wieder kommen,
es sind die meisten.
Auf jeden Fall waren es sehr viele Begegnungen. Eine unglaubliche Zahl! Längst nicht mit
allen Menschen habe ich gesprochen. Den meisten habe ich nur zugenickt oder zugelächelt. Viele, die
in die Kirche kommen, wollen alleine sein mit sich, mit Gott, mit ihren Anliegen, mit ihrem Kummer
oder auch mit ihrer Freude. Ich habe sie alle gesehen, bin ihnen begegnet, wenn auch nur von
fern.
Einem kleineren Teil der Menschen bin ich näher gekommen. Sie haben erzählt von sich selbst,
von ihren Erinnerungen an Taufen, Kommunionfeiern, Trauungen, Schulgottesdienste. Sie erzählten mir
von ihrem Leben, ihren Sorgen, von sterbenden Angehörigen, von neugeborenen Enkelkindern, von
Liebeskummer, alltäglichen Ärgernissen, von pubertierenden Kindern, finanziellen Notlagen,
Obdachlosigkeit und neuem Lebensmut, von ihrem Ärger über die Institution Kirche und von ihrer
tiefen Gläubigkeit, manche teilten mir ihre politischen Ansichten mit. Oft ging es auch um die
Schönheit unserer Severinskirche, um ihre Geschichte und ihre Kunstwerke. Oder sie ließen mich
teilhaben an ihrer Lebensfreude, an ihrem Glück.
Ich kann mich nicht an alle Gesichter erinnern, aber an sehr viele und an sehr viele
Geschichten, die mir anvertraut wurden und die natürlich bei mir bleiben. Viele der Besucher kommen
aus dem Viertel, aus der Gemeinde, andere kommen von sehr weit her.
Ich erinnere mich an einen Mann aus der Nähe von New York, der eine Reise auf den Spuren
seines inzwischen verstorbenen Vaters gemacht hat. Der Vater hatte das Ende des 2. Weltkriegs als
amerikanischer Soldat in Köln erlebt. Wir haben zusammen die Fotos angeschaut, die wir von der
zerstörten Kirche beim Besucherservice haben. Die Vergangenheit war plötzlich ganz nah, das war
sehr berührend.
Bei allen, die mir begegnet sind, die mir ihre Geschichten anvertraut haben, die mir
zugenickt oder zugelächelt haben, möchte ich mich von Herzen für ihr Vertrauen bedanken. Ich fühle
mich sehr geehrt.