Wo der Name Programm ist
Begegnung im Traum (Romanisches Kapitell „Traum der Könige“ in der Kathedrale von Autun in Burgund von Meister Gislebertus, um 1220) ©SilviaBins
Weihnachten als Begegnungsinitiative Gottes
"Immanuel" – so nennt der Evangelist Matthäus den, der da geboren werden soll: Jesus. Und er
zeigt mit der mitgelieferten Übersetzung dieses Beinamens zugleich die Programmatik dieses Kindes
an: "Gott mit uns" (Matthäusevangelium, 1. Kapitel, Vers 23). Jesu Auftrag lautet, Beziehung zu
stiften zwischen Gott und Menschen, Begegnung zwischen Himmel und Erde.
Es ist kein Zufall, dass Matthäus seinen Bericht über das Leben und Wirken Jesu auch mit
dieser Programmatik beschließt: "Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt" (Matthäus
28,20), sagt Jesus kurz vor seiner Himmelfahrt. Ich bin da, auch wenn ihr mich nicht seht und
spürt.
In Jesus erneuert sich das Versprechen des israelitischen Gottes: "Ich-bin-der-ich-bin-da"
(vgl. Buch Exodus, Kapitel 3, Vers 14). Das ist kein bloßes Abkupfern eines alten, ausgedienten
Slogans, sondern das Halten dieses Versprechens, personale Erfüllung. In den vielen Begegnungen
Jesu mit Randständigen der Gesellschaft bekommt Gottes Versprechen Hand und Fuß. In Jesus erfahren
die Menschen leibhaftig einen Gott, der mitgeht und begleitet, der konfrontiert und herausfordert,
der sogar mitleidet, mit aushält, mit stirbt. Ein Gott auf Tuchfühlung.
Dieses Auf-Tuchfühlung-Gehen Gottes verbinden sowohl Matthäus als auch sein Kollege Lukas mit
der Weihnachtsgeschichte. Bei beiden wimmeln die Geschichten rund um die Geburt Jesu nur so vor
Begegnungen. Im Matthäusevangelium begegnet dreimal ein Engel dem Josef im Traum; die Sterndeuter
treffen auf König Herodes und kurze Zeit später auf Jesus und Maria. Im Lukasevangelium begegnet
der Engel dem alten Priester Zacharias und kurze Zeit später Maria; eine ganze Schar von Engeln
erscheint schließlich einer Gruppe von Hirten auf freiem Felde. Bevor Johannes und Jesus das Licht
der Welt erblicken, begegnen sich die beiden schwangeren Mütter, Elisabeth und Maria, und auf diese
Weise vorgeburtlich auch Johannes und Jesus. Nach der Geburt Jesu treffen die Hirten auf die
Heilige Familie und die Heilige Familie schließlich auf Simeon und Hanna im Tempel. Wo man nur
hinsieht: Begegnungen!
Wer bislang noch nie was vom israelitischen Gott JHWH gehört hatte, wird spätestens beim
Hören oder Lesen der Weihnachtsgeschichte eine Ahnung davon bekommen, wofür dieser Gott steht, der
da in Jesus Mensch wird: für Beziehung. Dieser Jesus scheint ein echter Beziehungsmagnet zu sein,
"die" Begegnungsinitiative schlechthin. Er veranlasst nicht nur, dass Engel einen Vorgeschmack vom
"Himmel auf Erden" geben. Er bringt auch Menschen zusammen und führt diese zu Gott. Immer ist es
dieses Kind, das Anlass und Grund für diese vielfältigen Begegnungen ist. Und immer geht von diesen
Begegnungen eine besondere Kraft aus: zu vertrauen und zu wagen; sich aufzumachen und zu suchen; zu
glauben und zu hoffen. Zu hoffen, dass wer in die Augen dieses Kindes schaut, einen Gott erblickt,
der nicht nur Begegnung zu uns will und wirkt, sondern auch Begegnungen untereinander stiftet und
ermöglicht.
Vor einigen Jahren berührte ein beeindruckender Weihnachtsspot die Herzen der Republik. Ein
alter Mann wird zu Weihnachten von seinen Kindern versetzt. Niemand will ihn an den Festtagen
besuchen. Der ältere Herr greift zu einer List. Statt Weihnachtsgrüße erhalten seine Lieben im
darauffolgenden Jahr die Mitteilung von dessen vermeintlichem Tod. Beim Leichenschmaus taucht der
Totgeglaubte plötzlich auf. Schmunzelnd fragt er die erschrockenen Gemüter: "Wie hätte ich Euch
denn sonst alle zusammenbringen sollen?"
Weihnachten ist die Initiative Gottes, Menschen untereinander und mit ihm zusammenzubringen.
Als solches ist Weihnachten Zusage und Programm – damals wie heute.
Frohe Begegnungen, nicht nur an Weihnachten wünscht
Ihr und Euer Dominik Schultheis