Aus der Reihe getanzt …
An der Pforte eines Klosters in Westfalen Ende der 60er Jahre:
Die Eltern verabschieden sich von ihrer Tochter. Gemeinsam mit der Oberin hatte man vorher
Kaffee getrunken, die Oberin hatte der sehr jungen Frau in einem separaten Raum beim Umkleiden
geholfen. Noch keine richtige Schwesterntracht, ein schwarzes Kleid mit einem Krägelchen und ein
kleiner Schleier.
Der berührendste Moment war für die Eltern, als die Oberin ihnen die "weltliche" Kleidung
ihrer Tochter, ordentlich gefaltet, überreichte.
Die junge Frau, die damals Abschied von ihren Eltern nahm, war Marianne Ricking. Viele kennen
sie als langjährige Leiterin der Kindertagesstätte an der Eiche. Viele erinnern sich an sie als
Schwester Eva-Maria, wie sie seit dem Nachmittag, als sie ins Kloster ging, fünfundzwanzig Jahre
lang hieß.
Wir haben uns zu einem Gespräch über ihre mutigen Lebensentscheidungen getroffen. Als sie mir von dem Tag ihres Eintritts ins Kloster erzählt, denke ich an meine 17-jährige Tochter; genau so alt war Marianne damals. Bei meiner Tochter erscheint mir eine solche Entscheidung, überhaupt irgendeine Entscheidung von solcher Tragweite, unvorstellbar.
Wie viel Mut und welche Entschlossenheit musste Mariannes Entscheidung vorausgegangen sein!
Sehr entschlossen sei sie gewesen, begeistert von der Aussicht auf ein Leben im Kloster, beginnt
sie zu erzählen. Mut sei dafür das falsche Wort. Ihre Entscheidung fürs Kloster sei eine organische
Sache gewesen. In ihrer Familie gab es eine Ordenstradition. Drei nahe Verwandte waren Ordensleute,
die häufig zu Besuch kamen. "Mutter hielt mich für zu jung", erzählt Marianne, auch eine Tante,
selbst Ordensfrau, empfahl ihr, erst eine Ausbildung zu machen. "Ich war aber voller Begeisterung
und Freude, und schließlich gaben meine Eltern ihre Zustimmung".
Aus Marianne Ricking wurde Schwester Eva-Maria. Foto: privat
Die ersten drei Jahre dienten der Ordensausbildung.
Mit fünf weiteren jungen Schwestern lebte Marianne Ricking abgeschirmt von der übrigen Klostergemeinschaft, zu der damals 60 Frauen gehörten.
Das Hineinwachsen ins geistliche Leben – Kennenlernen der Ordensregel, regelmäßige Teilnahme am gemeinschaftlichen Gebet und das Leben in der Ordensgemeinschaft – war Ziel dieser Ausbildungsjahre.
Damit verbunden war die Einschränkung vieler persönlicher Freiheiten, wie es damals in den meisten Orden üblich war. Der Tag war so eng strukturiert, dass keinerlei persönliche Gestaltung möglich war; der Hauptakzent lag immer auf gemeinsamem Tun.
"Alle beruflichen Pläne, alle Lebenswünsche und Träume sollten wir zurückstellen, die Verbindung zu Gott sollte so gestärkt werden. Das fiel uns schwer, wir waren alle sehr jung", erinnert sie sich.
1980 kam sie nach Köln. Sie war die einzige junge Schwester im Kölner Konvent. Für die damals
28jährige Ordensfrau war es schwierig, das Ordensleben mit den weitaus älteren Mitschwestern (65 –
85 Jahre) zu teilen.
Tagsüber arbeitete sie im Kindergarten, am Abend kümmerte sie sich mit um die Bewohnerinnen des Altenheims und ging den älteren Schwestern zur Hand.
Kindergarten und Altenheim wurden von den Ordensschwestern geführt.
Nicht selten saß sie nachts bei den Sterbenden und war auch an den Wochenenden in viele Pflichten eingespannt. Zum ersten Mal kam sie an ihre Grenzen. Sie war erschöpft, fühlte sich ausgelaugt. "Ich glaube, was dann folgte, würde man heute als Burnout bezeichnen", kommentiert Marianne Ricking ihre damalige Situation. "Das Paradoxe war, ich lebte im Kloster, konnte aber mein geistliches Leben nicht mehr finden; das hatte ich mir so nicht vorgestellt!" Sie war der täglichen Auseinandersetzung mit dem Leben in zwei Welten – Orden und Kindergarten – müde geworden. "Für mich begann ab diesem Zeitpunkt ein langer Prozess des Nachdenkens: Bleiben oder Gehen, in der auch die Erwartungen meiner Familie eine wichtige Rolle spielten!"
Sie hat sich diese Entscheidung nicht leichtgemacht; in kleineren Schritten ist sie ihren Weg
gegangen und hat zunächst um eine Beurlaubung im kirchenrechtlichen Sinn gebeten. Eine Zeit, die
ermöglichte Lebenserfahrungen außerhalb des Klosters zu machen. Dazu gehörte, eine Wohnung zu
suchen, sich um Einrichtung und Kleidung zu kümmern und nicht zuletzt den eigenen Lebensunterhalt
zu verdienen.
Eine existentielle Herausforderung für einen Menschen, der 17jährig aus der Familie ins Kloster gegangen ist.
"Das war definitiv die mutigste Entscheidung in meinem bisherigen Leben", meint sie und
präzisiert: "Ich hatte kein Geld, keine Wohnung, und ich wusste damals nicht, ob ich meinen
Arbeitsplatz würde behalten können. Und eigentlich liebte ich das geistliche Leben. Ich konnte es
aber im Kloster nicht mehr weiterleben."
So wurde während der Sommerferien 1993 aus Schwester Eva-Maria wieder Marianne Ricking.
"Natürlich hatte ich auch Angst, ich kannte dieses Leben ja nicht, und ich habe ganz neu anfangen
müssen. Ich erinnere mich besonders an das großartige Gefühl der Freiheit, das ich sofort empfand,
besonders an die ersten Tage in meiner möblierten Wohnung. Nichts gehörte mir, aber es war meine
von mir gesuchte, möblierte Wohnung! Das war ab jetzt mein Leben!"
Wie sieht sie heute ihren bisherigen Lebensweg? "Meine Ordenszeit gehört wesentlich zu meinem
Leben; ich sehe es als ein großes Ganzes. Ich liebe heute meine Arbeit in der Gemeinde, meine
geistlichen und caritativen Aufgaben und mein ganzes Leben hier."
Und: Im August fährt Marianne Ricking zum 50. Ordensjubiläum der Mitschwester, mit der sie
damals gemeinsam ins Kloster gegangen ist.
Mit Marianne Ricking sprach
Stefanie Manderscheid
(Der Orden, dem Marianne Ricking angehörte, ist die Kongregation der Schwestern der christlichen Liebe, gegründet 1849 durch Pauline v. Mallinckrodt; das Mutterhaus befindet sich in Paderborn)
Habt Mut
Da ist er, der Augenblick
Noch einmal die Schultern straffen
Atmen
Tief ein- und ausatmen
Und dann der Sprung
Mit dem Mut der Verzweiflung
Die Angst
Die Hoffnungslosigkeit überwinden
Mit dem Mut der Verzweiflung
Ins scheinbar Bodenlose fallen?
Oder
Fallen lassen
In Bruchteilen von Sekunden
Mutig die Angst besiegen
Sich fallen lassen
Sich einlassen
Sich überlassen
Mit dem Mut des Vertrauens
Du bist da
Jetzt und Hier und Heute
Ihn zu wagen
Mutig
Den Sprung ins Leben
Jeden Tag neu
Ihn zu wagen
Den Lebenssprung
Auf dein Wort hin
Mutig das Wagnis des Lebens zu wagen
Habt Mut
Deine Zusage ist uns sicher:
Mutig dem LEBEN zu trauen.
Marianne Ricking