Malik stammt aus einem Kurdengebiet im Osten von Syrien. Als der Krieg in die Region kam, floh
seine Mutter mit ihm und zwei jüngeren Geschwistern auf abenteuer-lichen und gefährlichen Wegen mit
Hilfe von Schleusern in die Türkei. Drei Jahre lang lebte die Familie in Istanbul, wo Maliks Mutter
in einem Haushalt arbeitete und nebenbei ein Muschelgericht produzierte, das der jüngere Bruder auf
der Straße verkaufte. Die Schwester konnte die Schule besuchen; Malik, der in Syrien einen
mittleren Schulabschluss erreicht hatte, arbeitete in einem Textilbetrieb, wo er bald
organisatorische Aufgaben übernahm. Einen Arbeitsvertrag gab es nicht, die Arbeitszeit war
regelmäßig deutlich länger als üblich. Wenn der Betrieb nicht arbeitete, hatte er kein
Einkommen.
2015 wurde Malik klar, dass es für die Familie in Istanbul keine Perspektive gab.
Gleichzeitig wurde deutlich, dass viele europäische Staaten die Grenzen für syrische Flüchtlinge
schließen würden.
In einem Fleischtransporter, eng gedrängt zusammen mit vielen anderen Menschen, wurde die
Familie von Schleusern in die Nähe von Izmir gebracht. Die Mutter wickelte die Oberkörper der
Kinder mit Frischhaltefolie ein, um so die persönlichen Dokumente vor Wasserschäden zu
bewahren.
Die Schleuser sorgten für ein Schlauchboot, das die Flüchtlinge aufpumpten und bestiegen. Keiner
von ihnen hatte Erfahrung im Umgang mit einem Boot, das sich zunächst eine ewig lange Zeit nur
drehte. "Wir hatten alle Todesangst", sagt Malik, sichtlich erschüttert beim Erinnern und Erzählen.
Endlich bekam jemand das Boot irgendwie in den Griff, als ein Schlauchboot in unmittelbarer Nähe
wegen eines Lecks in Seenot geriet. Malik erinnert sich noch genau daran: "Die Menschen haben wie
in Panik all ihre Habe ins Meer geworfen und mit ihren Schuhen ohne Pause das Wasser aus dem Boot
geschöpft."
Schließlich schafften es beide Boote, ohne Personenverlust auf einer griechischen Insel
anzulanden. Von dort machte sich die Familie mit verschiedenen Verkehrsmitteln weiter auf die
beschwerliche Flucht über die Balkanroute. Die Grenzen mussten jeweils zu Fuß passiert werden,
wobei Malik seinen jüngeren Bruder tragen musste, der wegen einer Fußverletzung nicht laufen
konnte.
Irgendwann kam die Familie in einem Lager in Süddeutschland an, von wo aus sie in eine
Unterkunft in den Osten Deutschlands gebracht werden sollten. Malik hatte jedoch gehört, dass
Geflüchtete dort nicht gut behandelt würden, und brachte die Familie dazu, sich in den nächsten Zug
zu setzen, der sie schließlich bis Dortmund brachte. Von dort gelangten die Vier bald nach Köln und
lebten sieben Monate in einer Turnhalle in Rodenkirchen.
Malik und seinen Geschwistern wurden weder ein Deutschkurs noch ein Schulbesuch angeboten, und
doch wurde eines Tages ein Besucher auf Malik aufmerksam. Er hatte sich angestrengt, um möglichst
viele deutsche Wörter aufzuschnappen, und war so in der Lage, in gewissen Situationen als
Dolmetscher zu fungieren.
Dieser Besucher versprach Malik, einen Schulbesuch zu ermöglichen. Und hielt Wort.
Nach zwei Jahren in einer internationalen Vorbereitungsklasse konnte Malik den Regelunterricht
der gymnasialen Oberstufe besuchen.
Das Leben in der Turnhalle war beengt, es gab wenig Privatsphäre. Im Sommer war es
unerträglich heiß und stickig. Eines Tages bat Malik darum, dass eine abgeschlossene (!) Fluchttür
zur besseren Luftzufuhr geöffnet würde. Abgelehnt.
In dem Augenblick dachte sich Malik: „"Ich bin ein Mensch, und ich habe Rechte." Und
verständigte die Polizei. Kurz darauf wurde die Familie in eine menschenfreundlichere Unterkunft
verlegt und schon bald in eine eigene Wohnung in Mengenich.
Auch wenn der Schulweg nun sehr weit war, blieb Malik auf dem Gymnasium im Kölner Süden. Er
verstand sich gut mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern, und es machte ihm nichts aus, dass
diese drei Jahre jünger waren als er. "Wir hatten trotzdem viel Spaß in meiner Stufe. Ich hatte
wenig Kindheit und habe schlimme Dinge erlebt. Aber ich fühle mich wirklich nicht traumatisiert",
stellt er sehr bestimmt fest.
Malik musste auch deswegen schnell erwachsen werden, weil seine jüngeren Geschwister sich seit
der Flucht aus Syrien sehr an ihm orientieren. Er hofft, dass sie bald selbstständiger werden, denn
er möchte vor dem geplanten Informatikstudium ein Freiwilliges Soziales Jahr in Neuseeland
absolvieren.
Es fehlt nur noch das Visum.