Wunder kann man nicht gezielt produzieren.
Instrument einpacken, sich aufs Rad schwingen und im Kopf den festen Vorsatz haben: Heute
mache ich ein Wunder – das ist eine regelrecht absurde Vorstellung!
Andererseits: Es gibt sie, diese wundervollen Momente. Aber wie fühlt es sich an, daran
beteiligt zu sein?
Goethe hat es den Faust im gleichnamigen Theaterstück so formulieren lassen: "Werd' ich zum
Augenblicke sagen: verweile doch! du bist so schön! Dann magst Du mich in Fesseln schlagen, dann
will ich gern zugrunde gehen." Meine persönliche Beschreibung lautet schlicht: Dann höre ich auf zu
denken und BIN nur noch.
Aber ist mein Empfinden denn überhaupt repräsentativ? Wie empfinden andere Musiker diese
Momente? Eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis ergänzte meine Gedanken um wertvolle Aspekte.
Wichtigster Punkt ist die Gemeinschaft, die im Augenblick des Musizierens spürbar wird.
"Ich bin ein ziemlich dysfunktionales Einzelteil (weil extrem lampenfiebrig), aber als 'Rädchen'
in einem größeren Ganzen durchaus zu gebrauchen. Ich finde es immer wieder wunderbar, wie die
Gemeinschaft mit den anderen im Orchester oder in der Kammermusik mir hilft, das 'abzurufen', was
ich kann – weil es für alle gebraucht wird, nicht nur für mich allein."
(I. Arnold, Querflöte und Klavier)
"Aus einem Chor, einem Orchester, vier Solisten und einem Dirigenten wurde eine Einheit, wir
wurden von der Musik getragen, haben uns mitreißen lassen, uns von Musik durchdringen lassen und
trugen uns gegenseitig durchs Oratorium, das war ein völlig verrücktes Gefühl."
(Patricia, Chorsängerin)
"Das erlebe ich immer an Heiligabend, wenn die Kinder gemeinsam Musik machen. Da könnte mir vor
Glück 'das Herz zerspringen'."
(Uschi M., Blockflöten)
"Beim Zusammenspielen entsteht etwas Großes und Gemeinsames, ein Klang, der sich nicht aus den
einzelnen Stimmen zusammensetzt, sondern etwas Neues. Wenn das gelingt, entsteht auch im Herzen
etwas Neues: ein Gefühl einer umfassenden Gemeinsamkeit, ein tiefes Band, eine große Zuneigung zu
denen, die mit mir spielen."
(Annette v. A., Blockflöten)
Lässt sich das Gefühl körperlich beschreiben?
"Schmerzende Gitarrenfinger spielen keine Rolle mehr, ich nehme die Schmerzen nicht mehr
wahr."
(Bernd W., Gitarre)
"Der volle, harmonische Klang, die Vibrationen, die körperlich zu spüren sind, zusammen mit der
körperlichen Anstrengung …"
(Andrea T., Chorsängerin)
"Als (Chor)Sopranistin 'stimmt' es für mich, wenn ich mich als Klangkörper erlebe und der Klang
einfach, ohne Anstrengung, fließt."
(Heike B., Sopran)
"Es sind 'nur' Schwingungen, aber der Raum, in dem das Klangerleben entsteht, tritt in seiner
Bedeutung zurück, ich werde ganz Ohr."
(Barbara K., Saxophon)
"Es fließen lassen, sich mitreißen lassen, hineingesogen werden … Loslassen, sich darauf
einlassen, sich berühren lassen, sich öffnen, etwas von sich selbst geben … Es gibt viele Bilder,
die dieses Gefühl des Losgelöst-Seins versuchen, in Worte zu fassen. "Eins werden" ist eines der
häufigsten. "Eins werden" mit dem Instrument, mit den Mitmusizierenden, auch mit sich selbst. Wenn
die Musik ertönt, fühle ich mich ganz eins mit meinem Instrument und seinen Tönen."
(Tobias B., Akkordeon)
"Ich bin nicht religiös und glaube auch nicht an ‚Wunder‘ im Sinne von übernatürlichen
Ereignissen. Aber ich kenne diese 'perfekten Momente', wenn Denken, Gefühl und Geist im Einklang
stehen."
(Stefan N., Trompete)
"Beim Improvisieren – wenn’s richtig gut läuft – fühlt es sich an wie eine Welle, auf der man
surft. Man ist ganz eins im Hier und Jetzt."
(Georg K., Trompete)
Macht es einen Unterschied, ob es ums Singen geht oder ob ein Instrument mit im Spiel
ist?
Die Meinungen sind geteilt.
"Die Stimme ist das persönlichste Instrument, das Du hast. Und somit auch das, welches am
anfälligsten ist für Sämtliches, was in Dir vorgeht. Du bist nicht abgelenkt durch die Steuerung
eines ausdrückenden, externen Instruments, Singen ist immer unmittelbar. Ich empfinde beim
Musizieren völlig anders, wenn ich am Klavier oder an der Geige sitze."
(Patricia S., Chorsängerin)
"Ich sehe mein Instrument durchaus als 'verlängertes Selbst'. Egal, ob Block- oder Querflöte,
beide singen, sind eine Art Stimme, reagieren auf den Atem. Gerade die Querflöte reagiert ja auch
empfindlich auf die eigene Stimmung: Bin ich entspannt? Bin ich verkrampft? Oder sogar: geht es mir
gut?"
(Andrea B., Blockflöten)
"Als Hobby-Saxophonistin ist es für mich ‚wundervoll‘, wie ich dem Instrument durch meinen
Luftstrom eine Seele einhauchen kann."
(Barbara K., Saxophon)
Es gibt sie, diese Momente, in denen Musizieren sich wunder-voll anfühlt. Aber sie sind selten.
Und sie dauern nicht lang. Einen Wimpernschlag, einen Herzschlag … Ihre Wirkung jedoch ist von
langer Dauer. Das ausgelöste Glücksgefühl kann noch tagelang begleiten.
"Alles scheint klar … wunderschön – für ein paar Augenblicke. Dann ist’s leider vorbei.
Spätestens wenn man denkt: ist das geil!"
(Georg K., Trompete)