Biblische Wunder – glaubwürdig?
Diakon Dr. Barthel Schröder geht der Frage nach, welchen Stellenwert die vielfältigen Wundererzählungen in der Bibel haben.
Die vier Evangelien berichten über zahlreiche Wunder, die Jesus während seiner Zeit als Wanderprediger gewirkt haben soll. Sind diese Erzählungen historisch nicht hinterfragbare "Beweise" für die übermenschlichen Fähigkeiten Jesu und damit einfach zu glauben? Oder sind sie für einen modernen Menschen bedeutungslose Relikte einer mythologischen Welt, hinter denen keine tatsächlich stattgefundenen Ereignisse stehen?
Wegen der Häufigkeit der Erzählungen kann aber auf die Wunder Jesu nicht so einfach
verzichtet werden, wollen wir die vier Evangelisten in ihren Glaubensaussagen ernst nehmen.
In den Evangelien werden, ohne Doppel- und Mehrfachnennungen, folgende Wunder berichtet: 15
Heilungen, vier Dämonenaustreibungen, drei Totenerweckungen, zwei Speisewunder und fünf
Naturwunder.
Die Naturwunder Stillung des Sturms, außergewöhnliche Fänge an Fischen und der Gang über das
Wasser sind keine Tatsachenberichte sondern Bedeutungsgeschichten über Jesus. Sie sind Bekenntnis
zu Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde, der mit seiner Gegenwart in der Welt alles
bewirken kann. Dass diese Wunder von Jesus berichtet werden, bringt den Glauben zum Ausdruck, dass
in Jesus Gott selbst gegenwärtig ist.
Die Speisewunder suchen bildhaft das Geheimnis der Eucharistie zu beschreiben. Die
Totenerweckungen hingegen sind Übertragungen von Erweckungen durch die Propheten Elija und Elischa
auf Jesus, wie sie in den Büchern der Könige berichtet werden. Mit diesen Erzählungen wollen die
Evangelisten bildlich zum Ausdruck bringen, dass "Christus gestorben und lebendig geworden ist, um
Herr zu sein über Lebende und Tote" (Römerbrief Kapitel 14, Vers 9).
Hinter den Heilungen und Dämonenaustreibungen stehen vermutlich reale Begebenheiten. Welche
historisch sind oder nicht, ist heute nicht mehr auszumachen. Dies liegt daran, dass die
Evangelisten, im Gegensatz zu heute, an Tatsachenberichten kein Interesse hatten sondern mit ihren
Erzählungen allein die Bedeutung Jesu für die Menschen verständlich machen wollten. Daher sprechen
die Evangelien von Machttaten Jesu, durch die die erlösende Gegenwart Gottes in diesem
Wanderprediger aus Nazareth spürbar geworden ist. Für uns ist eine Erklärungshilfe, dass die Texte –
mehrere Jahrzehnte nach Jesu Tod entstanden – aus der Erfahrung von Jesu Tod und Auferstehung
geschrieben worden sind, also Jesus Christus als den verheißenen Messias und den Retter der Welt
verkünden wollen.
Diese Deutung der Wundergeschichten macht verständlich, warum Jesus trotz der Fülle der
berichteten Wunder, die er vollbracht haben soll, so wenig Akzeptanz in seinem Volk gefunden hat.
Und dieses Verständnis erklärt auch, warum Matthäus und Lukas die von Markus übernommenen
Wundererzählungen stark verändern konnten, um ihre jeweils eigene Sicht auf Jesus zum Ausdruck zu
bringen.
Interessant ist zudem die Tatsache, dass Johannes im Gegensatz zu den drei anderen
Evangelisten nur sieben Wunder erzählt, ist doch die Zahl sieben in der Bibel eine ganz besondere,
heilige Zahl.
Wenn bei Johannes das siebte und damit das letzte aufgeführte Wunder Jesu die Auferweckung
des Lazarus von den Toten ist, dann spielt er auf die Schöpfungs-geschichte an: "Am siebten Tag
vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte". Erst mit der Auferweckung Jesu – dem größten
Wunder der christlichen Glaubens-tradition – vollendet sich Gottes Werk für die Menschen.
Da das Ostergeschehen das zentrale Ereignis der Glaubensverkündigung ist, verdient es
eine genauere Betrachtung.
Das Wunder der Auferweckung
Da die Zeugen der "Erscheinungen" des Auferweckten schon lange nicht mehr unter den Lebenden
weilen, bleiben uns nur die in den Evangelien überlieferten Worte des Jesus von Nazareth: Worte,
durch die man ihn nach seinem Tode als Lebenden erfahren hat.
Frauen sind die ersten, denen der Auferweckte erscheint: "Plötzlich kam ihnen Jesus entgegen
und sagte: Seid gegrüßt!". Am Anfang stehen Frauen, weil die Männer, die mit Jesus von Nazareth
umhergezogen waren, schon lange das Weite gesucht hatten. Am Anfang stehen Frauen als
Überbringerinnen von Worten: "Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, und dort
werden sie mich sehen". Es sind die Worte des Jesus von Nazareth und die in Worte gefassten
Erfahrungen der Frauen, dass der am Kreuz Hingerichtete nicht im Tod geblieben ist, sondern lebt.
Mir brennt bei dieser Beschäftigung mit dem Wort von der Auferweckung eine Frage unter den
Nägeln, die sich die Frauen des Evangeliums vielleicht nie gestellt haben, von der ich aber nicht
lassen kann. Kann denn sein, was eigentlich gar nicht sein kann? Ist es denn wirklich heute noch
intellektuell verantwortbar, den Worten der Frauen von der Auferweckung des
Jesus von Nazareth Glauben zu schenken?
Verschreckte Jünger, zerstoben in alle Himmelrichtungen, zu feige, zu dem Gekreuzigten zu
stehen, kehren auf einmal um, zeigen Mut, bekennen sich zu dem Hingerichteten, opfern das eigene
Leben für das Bekenntnis "Jesus von Nazareth lebt". Eine solche Veränderung bei Menschen wird nur
durch eine außergewöhnliche Erfahrung bewirkt. Da muss es ein Erlebnis gegeben haben, das
Hoffnungslosigkeit in Hoffnung, Enttäuschung in Freude, Niedergeschlagenheit in Aufbruch verwandelt
hat.
Diese plötzliche Veränderung an den Jüngern gibt den Worten der Frauen für mich einen
gewissen Grad an Verlässlichkeit. Diese plötzliche Veränderung an den Jüngern lässt mich an den
eigenen Zweifeln zweifeln. Näher ist intellektuell an das Ereignis der Erfahrung des Auferweckten
nicht heranzukommen.
Zur Vertiefung wird empfohlen:
Rudolf Hoppe "Jesus von Nazareth – zwischen Macht und Ohnmacht",
Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2012