Plötzlich Geschwister
Die Familienberatungsstelle liegt etwas versteckt hinter der Kirche St. Johann Baptist, an der Auffahrt zur Severinsbrücke. Arnold-von-Siegen-Straße heißt die kleine Gasse. In einem gemütlichen Büro unterm Dach erzählen die Familientherapeuten Uwe Weiland und Frauke Dünkelmann, welche Erfahrungen sie in ihrer Beratungstätigkeit mit dem Thema "Geschwister" gemacht haben. Besonders für Patchworkfamilien besteht hier eine Herausforderung.
I. Rapp: Mit welchen Fragen kommen die Menschen zu Ihnen?
U. Weiland: Wir haben viele Fragestellungen rund um Trennung, Scheidung und
Patchwork-Konstellationen, so im Sinne von "Wir gestalten unsere Familie neu".
Zudem erlebe ich mehr und mehr eine Unsicherheit in der Rolle als Vater oder Mutter. Also,
das aushalten zu können, dass ich Vater oder Mutter bin und eben nicht der Freund meines
Kindes.
Welche Konsequenz für die Geschwisterbeziehung hat das?
F. Dünkelmann: Es ist so, dass Erziehen oft mit Unsicherheiten zu tun hat. Und wenn Eltern
unsicher sind in ihrem Verhalten – "heute gilt die Regel so, morgen so" – dann kann das auf die
Geschwister überschwappen.
Wie sieht das aus bei Patchwork-Familien, wo ja auch die Geschwister neu "zusammengewürfelt" werden?
F. Dünkelmann: Da geht’s ganz viel um Rollen. Da bin ich Mutter, vielleicht auch Stiefmutter,
aber ja auch neue Partnerin und irgendwo auch einfach nur Mensch. Das ist komplex.
Wichtig ist aus meiner Sicht, an der eigenen Haltung zu arbeiten, auch wenn das dauert. Auf
der Handlungsebene sind Dinge schnell verändert, aber wenn ich die nicht authentisch mittrage,
nützt das nichts.
U. Weiland: Manche Kinder sind irritiert, weil sie in einem Loyalitätskonflikt stecken.
Dürfen sie z.B. den neuen Partner der Mutter oder die neue Partnerin des Vaters nett finden, und
dürfen sie das auch dem jeweils anderen leiblichen Elternteil sagen? Das bringt die Kinder manchmal
schon in Schräglagen.
F. Dünkelmann: Uns ist es ganz wichtig, darüber mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, was die
Kinder umtreibt. Was wir mitbekommen ist, dass die Kinder es selten schwierig bei Papa oder bei
Mama an sich finden. Was Kinder schwierig finden, sind die Übergänge! Das muss man sich vorstellen
wie Urlaub. Ich find’s selten am Urlaubsort blöd und ich find’s auch nicht zu Hause blöd, aber ich
find‘ den Weg dahin oft nervig. Koffer packen, einpacken, auspacken … Kein Elternteil muss diese
Arbeit leisten. Das müssen in der Regel die Kinder leisten. Und je mehr Geschwister, desto
komplexer wird das Ganze.
Womit wir hier auch viel zu tun haben, sind die verrücktesten Wohnsituationen, die sich für
die Kinder aus diesen Konstellationen ergeben. Oft gibt es ja Kinder aus der ersten Ehe des Vaters,
Kinder aus der ersten Ehe der Mutter, ein oder zwei leibliche Kinder dann noch … Wie sind die an
Wochenenden besuchsweise zusammen? Wo leben die?
Welche Wirkung hat das auf Kinder, wenn auf einmal neue Geschwister dazukommen?
U. Weiland: Wenn ich der Erstgeborene bin, bin ich das Zentrum der Liebe meiner Eltern. Und
jetzt kommt plötzlich einer und stellt sich mit ins Zentrum dieser Liebe. Da bin ich doch erstmal
von den Socken?!
Das neue Geschwisterchen aber kennt gar keine andere Situation. Es erlebt von Anfang an nur
die Konstellation Mama, Papa und noch jemand dabei.
F. Dünkelmann: Verletzt wird immer nur das erstgeborene Kind. Das Einzelkind nicht, denn es wird
die Eltern nie teilen lernen; das Zweit-, Dritt-, Viertgeborene hat Teilen von Anfang an gelernt,
aber das frühere Einzelkind, das dann zum Geschwisterkind wird, das hat auf jeden Fall dann einen
etwas anderen Job zu leisten.
Kinder brauchen Gewissheit. Auch in erweiterten Familiensystemen wie Patchwork braucht jeder
seinen Platz. Je freundlicher die Eltern und Stiefeltern miteinander sind, desto geringer fällt in
der Regel der Geschwisterkonflikt aus. Kinder leben sich in neue Situationen ein – umso leichter,
je besser die Eltern ihre Kränkungen aus der ersten Ehe verarbeitet haben.
Das Gespräch führte Inga Rapp
Weiter Infos unter:
www.eltern-familien-beratung-koeln.de