ERZBISTUM KÖLN  Domradio  Caritas Köln

Mein Leben für die Familie?

Was es bedeutet, in Portugal in einer Familie mit vierzehn Kindern aufzuwachsen und sehr früh Verantwortung zu übernehmen, darüber spricht Marianne Ricking mit Carmo F., die sie seit 36 Jahren, als Kollegin und Mitarbeiterin im Josefshaus, kennt.

M. Ricking: Vierzehn Kinder, eine große Zahl – an welcher Stelle in der Geschwisterreihe stehst Du?


Carmo: Wir waren neun Mädchen und fünf Jungen, ich war die Drittälteste. So ist die Reihenfolge: Fatima (die Älteste, sie ist mit 18 Jahren verstorben), Rosa (54), ich selbst (53), Davide (52), Gabriel (51) Asuncion (50), Maria Jose (49), Coeleste (48), Josè (47), Anna (46), Sanmero (45), Antonio (43), Armando (40), Fatima (33). Unser Leben war nicht einfach. Wir waren eine arme Familie. Ich habe meinen Vater nur als "Rentner" erlebt. Meine Mutter hat beim Bauern gearbeitet. Wir haben immer gewartet, bis sie nach Hause kam und uns Essen gebracht hat.

 

Wie war es als Fatima starb – Du warst 16 Jahre alt?


Meine Eltern waren sehr traurig, als sie starb, sie litt an Epilepsie. Meiner jüngsten Schwester haben sie dann in der Erinnerung an meine älteste Schwester auch wieder den Namen Fatima gegeben.

Heute ist Fatima 33 Jahre, verheiratet und hat auch schon wieder ein eigenes Kind.

 

Du hast schon früh Verantwortung übernehmen müssen?


Ja, das war so. Ich habe nur in den ersten vier Jahren die Schule besucht, danach – mit neun Jahren – musste ich arbeiten. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich freitags die Schule verließ und bereits am Samstag als „Tagesmädchen“ in einer Familie beginnen musste. Die Familie hatte meinen Eltern einen Vorschuss gegeben, den ich dann sozusagen abgearbeitet habe. Ich musste die Kinder hüten, kochen, waschen … alle Arbeiten, die so in einer Familie anfallen. Einmal im Monat durfte ich nach Hause zu meiner eigenen Familie. Ich weiß, dass ich sehr sauer auf meine Eltern war. Ich hatte das Gefühl, sie verkaufen mich einfach.

 

Wie bist Du mit dieser wirklich schwierigen Situation umgegangen?


Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich oft wütend war und offen meinen Ärger herausgelassen habe. Das stimmt sicher.
Ich habe nie verstanden, warum meine Eltern so viele Kinder bekommen haben, denn sie wussten oft nicht, wie sie uns satt bekommen sollten. Jedes Jahr ein neues Kind! Für mich war es nur eine Belastung, und für ein neunjähriges Mädchen eine völlige Überforderung. Als meine Zeit in der einen Familie um war, musste ich zur nächsten.

 

Waren auch die Geschwister so eingespannt wie Du?


Ich war in der Geschwisterreihe diejenige, die immer parat stehen musste. Meine ältere Schwester Rosa war öfter krank und fiel darum für diese Aufgaben aus. Als ich 14 Jahre alt war, hatte ich nur noch das Bedürfnis, weit weg von zu Hause zu sein. Ich bin zu einer Cousine nach Kanada geflogen.

 

Wie hast Du das geschafft als Vierzehnjährige?


Ich habe meinen Eltern die Erlaubnis abgerungen und ihnen ein Ultimatum gestellt: „Entweder ich bekomme eure Erlaubnis, oder ich fahre auf eigene Faust und ihr seht mich nie wieder!“ Es war mir alles egal, ich wollte nur weg von meiner Familie. Arbeiten konnte ich, und ich war sicher, alles andere würde sich ergeben.
Ich musste allerdings meinem Vater am Flughafen das Versprechen geben, zur Familie zurückzukehren. Ich habe ihn angefleht, dass bitte kein Geschwisterkind mehr kommen möge, noch nicht wissend, dass meine Schwester Fatima schon unterwegs war. Mit ihr verbindet mich heute eine besondere Beziehung, weil ich an ihr oft "Mutterstelle" vertreten habe.

 

Wie war das, der Familie den Rücken zu kehren und sich aufzumachen in die große weite Welt?


Erstmal war es befreiend. Ich bin sechs Monate in Kanada geblieben und habe Geld verdient, letztendlich doch wieder nur für meine Familie. Meine Mutter bat mich zwischendurch immer wieder, zurückzukommen. Als ich dann nach einem halben Jahr wieder nach Hause kam, konnten meine Eltern sich die ersten Tiere für ihren Bauernhof kaufen. Jetzt konnten wir uns aus eigenem Bestand ernähren. Eine gute Erfahrung für uns alle.

 

Wie ging es dann für Dich und Deine Familie weiter?


Mit 17 Jahren bin ich nach Deutschland gekommen, immer mit dem Anliegen meine Familie zu unterstützen. Ich selber habe hier ganz einfach gelebt, um meine Familie, jetzt auch nochmal besonders meine heranwachsenden Geschwister zu unterstützen, ihnen Schule, Ausbildung etc. zu ermöglichen. Überhaupt bin ich für meine Geschwister wie eine zweite Mutter. Das ist bis heute so, auch wenn mittlerweile alle ihre eigenen Familien haben. Wenn jemand in Not ist, ruft er oder sie mich an. Familie war und ist etwas ganz Wichtiges für mich. Bis zum heutigen Tag bin ich für jeden in meiner Familie da.

 

Du hast 1989 selber geheiratet und eine Familie gegründet …

 

Für mich war immer klar, dass meine eigene Familie nur aus "Vater - Mutter - Kind" bestehen würde. Du weißt, mein Mann Cecilio ist vor 10 Jahren an Krebs gestorben, und meine Tochter Eva ist mein "EIN und mein ALLES", mein Lebensmittelpunkt. Sie ist zwar Einzelkind, aber doch mit Cousinen und Vettern in einer großen Familie herangewachsen. Übrigens, sie selbst möchte einmal mehrere Kinder haben.

 

Du hast ein unglaublich entbehrungsreiches Leben geführt! Würdest Du das alles noch einmal so machen, wenn Du die Wahl hättest? 


Es tut mir nicht leid; ich würde alles noch einmal so tun – hundertprozentig:
Das war und das ist mein LEBEN für die FAMILIE! 

Zum Seitenanfang Seite weiterempfehlen Druckversion Kontakt  Barrierefrei Datenschutz  Impressum