Diakon Dr. Barthel Schröder spricht über seine beruflichen und persönlichen Erfahrungen mit Macht in einem multinationalen Konzern.
Wenn Macht die Fähigkeit ist, auf Personen so einzuwirken, dass diese sich entsprechend den
ausgesprochenen Anordnungen zu verhalten haben, dann habe ich in den letzten Jahren meiner
beruflichen Tätigkeit als Vorstand und Vorsitzender von Aufsichtsräten in einem multinationalen
Konzern Macht gehabt und ausgeübt. Ich habe alleine oder mit anderen Top-Managern über Produkte
entschieden, Personen eingestellt oder entlassen, Disziplinarmaßnahmen ausgesprochen, Gehälter und
Bonus-Zahlungen festgelegt, in einem Sanierungsfall sogar eine Belegschaft drastisch verkleinern
müssen.
Denke ich über meine Erfahrungen bei der Ausübung dieser Macht kritisch nach, so fällt mir
zunächst die Neigung ein, vor der keiner gefeit ist, Macht nicht als eine befristete, an eine
bestimmte Funktion gebundene Fähigkeit auszuüben, sondern sie als eine Art persönlicher Eigenschaft
auszuleben, die daher einem zweifellos zusteht und ein Zuhören als unnötig erscheinen lässt. Indem
der die Macht Ausübende aber zum Macht-Menschen wird, ist Macht zusammen mit dem Ehrgeiz
unersättlich, will immer mehr bestimmen und lenken. Nicht selten wird die Macht, die im Beruf
ausgeübt wird, fraglos auch auf die Familie übertragen.
Bei der Ausübung von Macht geschieht es sehr häufig, dass die betroffenen Menschen zu
strategischen Objekten werden, zu Figuren in einem Schachspiel, verschiebbar, austauschbar, alleine
nach Leistung und Durchsetzungsvermögen bewertet. Die Einzigartigkeit eines jeden Menschen, seine
Empfindungen, Stärken und Schwächen spielen bei diesem Verhalten keine Rolle mehr.
Die Ausübung von Macht muss aufgrund dieser Gefahren regelrecht im Gleichschritt mit der
Entwicklung der eigenen Persönlichkeit gelernt werden. Zu schneller Aufstieg verführt dazu, sehr
schnell zu einem Macht-Menschen zu werden.
Die Ausübung von Macht bedarf klarer Grenzen. Neben den staatlichen Gesetzen sind es in
Unternehmen Gewerkschaften und Betriebsräte, die Haltelinien einziehen und das Verhalten kritisch
bewerten können. Für die Entwicklung der Persönlichkeit des Machtausübenden sind Familie und gute
Freunde als kritische Gegenüber zur notwendigen Erdung unerlässlich.
Es gibt keine Ausübung von Macht, ohne dass bei allem guten Willen Unrecht geschieht, da kein
menschliches Tun ohne Fehler ist. Dies sich immer wieder einzugestehen, die zu fällenden
Entscheidungen dahingehend kritisch zu durchdenken, erkanntes Versagen offen auszusprechen, so
schwer es auch fällt, sorgt für eine gewisse Bescheidenheit, die der Macht keinen Abbruch tut.
Wenn ich auf meine eigene Ausübung von Macht im Beruf nachdenke, so bin ich meiner Frau sehr
dankbar, dass sie mich durch Hinweise und zum Teil auch schmerzliche Kritik nachdenklich hat
bleiben lassen. Geholfen hat mir auch meine Überzeugung, dass ich für mein Tun einst gegenüber dem
Ewigen Rechenschaft abzulegen haben werde. Ich habe sicherlich nicht nur falsche Entscheidungen
getroffen, sondern auch einzelnen Menschen Unrecht getan. Dass ich mich heute selbst noch da sehen
lassen kann, wo schmerzhafte Veränderungen notwendig waren, lässt mich hoffen, dass es nicht allzu
viele waren. Hoffentlich täusche ich mich nicht. Zugeben muss ich aber auch, dass ich mich an den
mit der Pensionierung verbundenen Machtverlust erst gewöhnen musste.
Ich habe die Macht durchaus vermisst, obwohl ihre Zeitgebundenheit mir immer vor Augen
stand.
Heute bin ich als Diakon – und – weil Nicht-Priester – völlig machtlos; das empfinde ich als
geschenkte Freiheit.