Wie Singen die Grenzen der Sprache und der Kultur überwindet, das hat Stefanie Manderscheid
eindrucksvoll erfahren.
Als wir die fünfköpfige libysche Familie im Herbst vor zwei Jahren kennengelernt haben, war sie
gerade in Deutschland angekommen. Aus politischen Gründen waren die Eltern mit ihren Kindern aus
ihrer Heimat geflüchtet, und seit wenigen Tagen wohnten sie in einer Notunterkunft in Bonn. Unser
erstes Treffen fand in einer Bonner Pizzeria statt, ein Übersetzer war dabei, der sich sehr
bemühte, aber für fünf Menschen natürlich nicht gleichzeitig übersetzen konnte. Vor allem die
Kinder Muja, Jubair und Koun, damals elf, zehn und drei Jahre alt, konnten nicht am Tischgespräch
teilnehmen. Aber wir lächelten uns freundlich zu, klopften uns gegenseitig auf die Schultern,
bekamen kleine Gemälde, die die Kinder während des Essens auf den Rechnungsblock des Kellners
gemalt hatten, geschenkt. Reden konnten wir nicht miteinander.
Schon nach wenigen Tagen wurden die beiden älteren Kinder eingeschult.
Einige Wochen später, in der Adventszeit, haben wir die Familie zu uns nach Hause eingeladen.
Wir waren sehr gespannt, wie dieses Treffen, diesmal ohne Übersetzer, verlaufen würde. Wieder saßen
wir gemeinsam am Tisch, wieder lächelten wir uns an, klopften uns gegenseitig auf die Schultern,
und dann begannen die Kinder unvermittelt zu singen, "Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum", mit klaren
Stimmen und beinahe tadelloser Aussprache. Auch die Kleinste, sie war damals noch nicht im
Kindergarten, sang mit.
Jetzt wussten wir, wie wir uns näherkommen konnten. Es wurde ein sehr vergnügter Abend, an
dem wir viel gesungen haben.
Inzwischen treffen wir die Familie regelmäßig, und oft singen wir gemeinsam, die kölschen
Karnevalshits sind dabei ebenso beliebt wie die Kinderlieder, die Koun im Kindergarten kennenlernt.
Als nächstes wollen wir ein arabisches Lied einstudieren.