"Der Mai ist gekommen", klingt es in den großen, gemütlich bepflanzten Hof hinein. Der
Wintergarten ist voll; etwa zwanzig Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenzentrums Herz Jesu haben
sich versammelt, um gemeinsam zur Akkordeonbegleitung zu singen. "Der Singkreis findet einmal
monatlich statt", erläutert Maria-Theresia Böhm, die Leiterin des hauseigenen Sozialkulturellen
Dienstes. Musikalische Besuche in den Zimmern oder Wohnbereichen gibt es häufiger, auch im Rahmen
der Aktivierungsgruppen wird gesungen.
"Wir haben zur Zeit 91 Bewohnerinnen und Bewohner, davon mehr als 50% demenzkrank, Tendenz
steigend", so Böhm. Schon lange ist bekannt, dass Musik bei Demenz lindernd wirken kann. Klänge,
Rhythmus und Melodie beeinflussen das Schmerzempfinden, können beruhigen, entspannen und so für
mehr seelisches Gleichgewicht sorgen. Böhms Kollege Edward Grabosz erzählt von einer Situation, in
der es im Raum sehr unruhig war. "Wir haben dann das Radio aus- und eine Kassette angemacht – und
sofort beruhigte sich alles. Wenn man die Musik spielt, mit der sich die Menschen wohlfühlen, dann
ist es wie zu Hause sein."
Im Haus gibt es regelmäßig musikalische Veranstaltungen. Traditionsfeste wie Weihnachten und
Karneval fallen darunter, aber auch der 1. Mai. Sonntags gibt es alle zwei Wochen Live-Untermalung
vom Klavier zur Kaffeezeit. Auch die hauseigene Kapelle wird regelmäßig für Konzerte genutzt. Die
Bewohnerinnen und Bewohner nehmen gerne auch an Veranstaltungen außerhalb des Hauses teil, etwa am
Karneval in St. Severin oder den Tanznachmittagen einer nahegelegenen Tanzschule. Da das Budget für
Musiker begrenzt ist, ist entsprechendes Engagement notwendig. "Zur Zeit haben wir eine größere
Gruppe Klassik-Fans", erzählt Maria-Theresia Böhm. "Glücklicherweise gibt es jemanden, der sehr
bewandert ist in diesem Bereich und daher einmal monatlich eine Veranstaltung 'Abenteuer Klassik'
anbieten kann."
Gerade das Singen von Liedern knüpft an Erinnerungen und kann Emotionen auslösen. Häufig sind
es die Lieder der eigenen Kindheit und Jugend, die berühren. "Musik kann Freude auslösen, etwas
erlebt zu haben, aber auch Trauer darüber, dass etwas nicht mehr geht", so Böhm. Für sie ist es
wichtig, genau zu beobachten, was wie wirkt. "Man möchte natürlich vermeiden, dass negative
Erinnerungen auftauchen, aber die Menschen und ihre Geschichten sind individuell – nicht immer ist
erklärlich, was konkret nun der Auslöser für eine auftauchende Emotion gewesen ist."
Kriegserlebnisse spielen nur eine geringe Rolle. "Ein einziges Mal in all den Jahren ist es
passiert, dass eine Bewohnerin sehr heftig auf 'Oh Du schöner Westerwald' reagiert hat. Und es gibt
natürlich Lieder, die wir gegebenenfalls stoppen, wenn sie jemand anstimmt, etwa 'Schwarzbraun ist
die Haselnuss'. In diesen Situationen lenkt man dann freundlich zu einem anderen schönen Lied, z.B.
'Die Gedanken sind fre'. Das ist bei uns auch sehr beliebt."
Manchen fällt das Mitsingen zunächst schwer, sie trauen sich nicht. Böhm lächelt herzlich:
"Wir sagen immer: 'Bei uns darf auch gebrummt werden.' Wenn einmal der erste Anfang gemacht ist,
dann verbessert sich erstaunlicherweise viel." Und sie erzählt von der Bewohnerin, die völlig
überrascht war, dass sie sich noch an die dritte Strophe eines längst vergessen geglaubten Liedes
erinnern konnte. "Sie war richtig stolz auf sich selbst."
Welche Stücke gesungen werden, etwa im Singkreis zum Akkordeon, wird für jeden Termin neu
zusammengestellt. Böhm dazu: "Die individuellen Vorlieben der Bewohnerinnen und Bewohner sind
bekannt, jeder soll auf seine Kosten kommen können." So stehen neben Volksliedern und
jahreszeitlich angepasstem Liedgut – im Moment Mai-Liedern – auch Schlager der 40er und 50er Jahre
auf dem Plan. Und natürlich ist Kölsches sehr beliebt. "Ostermann steht ganz oben auf der Liste,
außerdem die Bläck Fööss", so Grabosz, "aber auch die neuen Produktionen kommen hier gut an." Dann
grinst er: "Ich habe einen Traum. Ich möchte noch erleben, dass hier Pink Floyd und Dire Straits
gespielt werden."