Schauspielkunst und Dienst am Text
Wie es ist, im Gottesdienst aus der Bibel vorzulesen? Christoph Schmitz im Gespräch mit Manuela A., Ewald M. und Raymund WeberManuela A. (2. v. r.) und Ewald M. (2. v. l.) sind seit vielen Jahren als Lektoren in unseren Gottesdiensten tätig. Der Diplomtheologe Raymund W. (l.) bildet im Auftrag der Erzbischöflichen Liturgieschule Lektorinnen und Lektoren aus - auch in unserer Gemeinde. ©SilviaBins
©SilviaBins. Es geht um den Text und weniger um mich.
Christoph Schmitz: Manuela, wie fühlst du dich, wenn du als Laie im Gottesdienst an den Ambo (Lesepult) trittst und aus der Bibel vorliest?
Manuela A.:
Ich empfinde eine gewisse Ehrfurcht, einen Ernst, eine Feierlichkeit und bin immer etwas
aufgeregt. Ich weiß, dass ich das Wort Gottes vortrage. Die Augen der Gemeinde sind auf mich
gerichtet. Darüber hinaus lese ich mitunter einen Text vor, der mir fremd ist, ein Text, der sich
manchmal erst nach und nach erschließt.
Christoph Schmitz: Ist das nicht befremdlich?
Manuela A.:
Nein, das würde ich nicht sagen. Meine Aufgabe ist es ja, den Text so zu lesen, dass er
möglichst vielen verständlich wird. Zugleich spielen Emotionen des Textes in den Akt des Vorlesens
hinein, auch meine eigenen Emotionen, die durch den Text geweckt werden. Dabei weiß ich, dass meine
eigene Haltung zu dem, was ich lese, eine untergeordnete Rolle spielen soll. Wobei es mir
schwerfällt, eine biblische Geschichte, die mir nahegeht, dennoch neutral zu lesen. Bei Passagen,
die mir gar nichts sagen, fällt es mir leicht, nüchtern zu bleiben. Dann versuche ich, vor allem
auf die Satzstellung zu achten, auf die Kommata, die Interpunktion insgesamt, arbeite mich rein
technisch durch das Geschriebene, versuche es klar zu strukturieren, damit der Text für sich selbst
steht und seine Wirkung entfaltet.
Christoph Schmitz: Liest du mit dem Bewusstsein, eine heilige Schrift vor dir zu haben, Ewald?
Ewald M.:
Ja, das ist mir sehr bewusst. Darum versuche ich auch, an dem Text möglichst nah dran zu sein
und ihn schon am Tag zuvor zu lesen, mehrfach zu lesen, damit ich ihn der Gemeinde auch wirklich
rüberbringen kann. Denn erst, wenn ich selbst den Text bis zu einem gewissen Grad verstanden habe,
kann es mir vielleicht gelingen, ihn anderen zu vermitteln.
Manuela A.: Ich glaube, das Handwerkliche ist beim öffentlichen Vorlesen sehr wichtig: Ich muss verständlich vortragen, Betonungen setzen, strukturieren, keine Silben verschlucken, Pausen setzen, ausreichend laut sprechen. Man muss zugleich bei sich bleiben, die eigene Art der Herangehensweise finden, auch wenn es um den Text und weniger um mich geht.
©SilviaBins. Ein gewisser Respekt vor der Aufgabe darf sein.
Christoph Schmitz: Das heißt, es geht um Natürlichkeit einerseits, aber auch um Ehrfurcht und Feierlichkeit andererseits, Raymund Weber?
Raymund Weber:
Ja, das sind die Eckpunkte. Die Basis ist aber zuerst einmal, dass man sich klar macht: Das
ist nicht mein Text, sondern ein fremder Text. Den fremden Text gilt es zu verstehen. Ich muss
verstehen, was der Autor will, muss seine Intention begreifen und seine Sprechhaltung und mich
fragen, handelt es sich um einen nüchternen Bericht, eine theologische Reflexion, eine prophetische
Vision, um eine Ermahnung, etwas Hymnisches, um einen Lobpreis? Und dann muss ich einen Weg finden,
wie ich die jeweilige Intention und Emotion beim Lesen deutlich werden lasse. Bei einem trockenen
biblischen Bericht sollte entsprechend schlicht vorgelesen werden, bei einer hymnischen Passage
sollte die Freude mitschwingen.
Christoph Schmitz
: Also sind schauspielerische Qualitäten gefordert?
Raymund Weber:
Genau. In gewisser Weise gehört zum Vortragen biblischer Texte im Gottesdienst eine
schauspielerische Fähigkeit. Denn man leiht dem Text ja nicht nur seine Stimme, sondern auch seinen
eigenen Körper und seine Mimik.
Manuela A.: Ja, mir geht es tatsächlich darum, eine Rolle zu verkörpern. Wobei ich gestehen muss, dass ich mich das mitunter auch nicht so recht traue. Manchmal muss ich meine Hände förmlich am Ambo festhalten, damit ich nicht wild herumgestikuliere. Zugleich denke ich, dass ein theatralischer Gestus unangemessen wäre.
Raymund Weber: Das stimmt. In diesen Zusammenhang gehört die Frage, ob und wenn ja, wie oft man beim Vorlesen die Zuhörenden anschaut. Ich rate in meinen Seminaren immer dazu, am Anfang, bei der Ankündigung dessen, woraus man vorliest, die Gemeinde anzuschauen, dann den Blick auf den Text zu richten, ihn vorzulesen und am Ende, wenn es heißt, "Worte der Lesung" oder "Evangelium unseres Herrn Jesus Christus", wieder aufzuschauen. Das reicht an Blickkontakt. Denn wenn man in den Text schaut, macht man deutlich, dass ich nicht die eigenen Worte spreche, sondern die eines anderen.
©SilviaBins. Es geht um Natürlichkeit, aber auch um Ehrfurcht und Feierlichkeit?
Christoph Schmitz: Ist der Lektorendienst also eine Art Gratwanderung?
Raymund Weber:
Auf jeden Fall ist er eine Herausforderung. Die aber nicht dazu führen sollte, dass man Angst
entwickelt. Ich muss keine Angst davor haben, etwas falsch zu machen. Denn wenn ich zitternd vor
dem Text stehe, weil ich befürchte einen Fehler zu machen, geht es bestimmt schief; ich sollte mich
vor allem an einem orientieren, nämlich an dem Gedanken, dass den Menschen im Raum der Text
verständlich wird. Ein bisschen Bammel darf dabei sein, eine gewisse Aufregung, ein gewisser
Respekt vor der Aufgabe. Denn auch wir Lektorinnen und Lektoren sind als Laien Träger des
Gottesdienstes. Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es das ja gar nicht. Einzig der Priester
war Träger der Liturgie.
Manuela A.:
Dass ich heute als Lektorin den Gottesdienst mitgestalten kann, erfüllt mich mit einem
gewissen Stolz. Dass wir Laien tragende Funktionen innehaben, ist ein so wichtiges Zeichen. Ich
wollte als Mädchen unbedingt Messdienerin werden, was aber in der Pfarrgemeinde von Sankt Maternus
damals nicht erlaubt war. Und jetzt gibt es diese und viele andere Möglichkeiten für Laien, worin
ich sehr positive Zeichen der Entwicklung sehe.
©SilviaBins. Ich versuche, am Text möglichst nah dran zu sein.
Christoph Schmitz: Lektoren tragen ja auch die Fürbitten vor. Muss man mit diesen Texten wiederum anders umgehen?
Ewald M.:
Bei den Fürbitten bin ich als Lektor häufig viel emotionaler verwickelt, als bei der
Lesung. Nicht selten fließen tagesaktuelle Themen in die Fürbitten ein. Und dann kann es mir
durchaus passieren, dass ich den Tränen nahe bin.
Manuela A.: Das erlebe ich auch so. Die Fürbitten gehen mir ungeheuer nah. Mir bricht manchmal die Stimme. Ich fühle mich plötzlich in einer sehr authentischen Situation.
Raymund Weber:
An diesem Punkt des Gottesdienstes wechseln wir als Lektoren tatsächlich die Rolle. Hier
sprechen wir die Anliegen und Bitten der Gemeinde aus, zu der wir gehören, anders beim
Verkündigungstext, bei dem es ums Hören geht. Bei den Fürbitten spricht unser Herz.