Anja Clemens besucht Silberschmied Martin von Bongardt in seiner Werkstatt, in der
traditionelle und moderne Arbeit nebeneinander stehen.
Als Jérôme Boateng nach seiner Wahl zum "Fußballer des Jahres 2016" den goldenen Pokal in den
Himmel stemmte, ahnte er wahrscheinlich nicht, dass er das glänzende Werk Martin von Bongardts in
den Händen hielt. Der Kölner Silberschmiedemeister, eigentlich auf Entwurf, Fertigung und
Restaurierung von Kirchengeräten und Tafelsilber spezialisiert, fertigt seit Jahren die bei
Fußballprofis begehrte Trophäe an.
Achtzig Arbeitsstunden, schätzt der Meister, stecken in dem auf gedrechseltem Holzsockel
stehenden Pokal. Aufwändige Arbeitsgänge machen aus Messingstücken, Silberblech und zwei
"gedrückten" Halbkugeln mit viel heißem Pech, Punziereisen und Ziselierhammer für’s
Ballmuster einen Pokal mit Gold- und Silberüberzug. Ein absolutes Unikat – wie alle Produkte
aus seiner Werkstatt. "Ich biete keine Massenware an, sondern richte mich nach den Wünschen des
Kunden", betont von Bongardt, "egal, ob sakral oder profan, Neuanfertigung oder Reparatur."
Tradition neu beleuchtet? "Ja, es gibt, wie eben beim Fußballpokal, immer wieder moderne Akzente
oder persönliche Blickwinkel des Kunden. Und beim Restaurieren freut es mich, Ursprüngliches wieder
sichtbar zu machen."
Martin von Bongardt schätzt das Neue – und liebt die Anwendung seiner alten
Handwerkstechniken, die meist viel material- und zeitintensiver sind als neuere Verfahren, wo etwa
hochmoderne 3D-Drucker für Gussmodelle bereitstehen: "Mein Ehrgeiz ist, Dinge von Hand anzufertigen
und nicht immer den einfachsten Weg zu gehen." Wer Haus und Werkstatt in der Südstadt betritt,
erlebt es: Seit über 100 Jahren in Familienbesitz, zeugen Einrichtung und Ausstattung davon, dass
Traditionen hier in hohem Ansehen stehen. Sein Vater, der den vom Ur-Urgroßvater als
"Theaterausstattung" gegründeten Betrieb führt, arbeitet hier gemeinsam mit Martin von Bongardt,
seit 1995 Meister seiner Zunft. Ladenlokal und Internetpräsenz gibt es nicht, statt dessen stehen
in den Werkstatträumen alte Maschinen und Werkzeuge, und riesige Laugenwannen, in deren
Speziallauge den 2,50 Meter hohen Prozessionslaternen aus Sankt Severin neuer Glanz verliehen
wurde.
Martin von Bongardt sorgt für neuen Glanz bei den alten Prozessionslaternen.
Immer wieder, erzählt von Bongardt, erlebt er die enge Verbindung aus Tradition und Modernem. So
fertigte er im Auftrag eines Kölner Traditionsunternehmens die Metallarbeiten an einer Replik der
Schwarzen Muttergottes – eine Gabe zum 75. Geburts- tag des damaligen Kölner Erzbischofs
Kardinal Meisner. Elf Jahre zuvor entwarf und fertigte er das edelsteinverzierte Tintenfass zum
Goldenen Buch des 175 Jahre bestehenden Festkomitees Kölner Karneval, es steht heute im
Karnevalsmuseum. "Das war das Bedeutsamste, was ich je machen durfte!" erklärt von
Bongardt.
Reich wird ein Gold- und Silberschmied meist nicht. Allgemein gingen die Aufträge für
traditionelle Produkte wie hochwertigen Schmuck eher zurück, und die Zahl der Lehrlinge wie auch
der Ausbildungsbetriebe, bedauert von Bongardt, nehme ab: "Das Ausbildungsgehalt ist
vergleichsweise niedrig, die Arbeit nicht so sauber und leicht, wie manche sich das
vorstellen."
Unter den rund 80 Gold- und Silberschmieden in Köln seien nur etwa 30 Innungsbetriebe, darunter
der seine. Des Handwerks goldener Boden – gibt es ihn noch für Gold- und Silberschmiede im
21. Jahrhundert? Martin von Bongardt lächelt: "Ja, wenn man, so wie ich, seine Nische findet. Dann
wird man nicht durch Billigprodukte oder die Modeschmuckindustrie abgehängt." Glücklich gelebte
Handwerkstradition. Immer wieder neu beleuchtet – spätestens dann, wenn der nächste
"Fußballer des Jahres" den glänzenden Pokal aus der Kölner Traditionswerkstatt von Bongardt in den
Himmel stemmt.