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Noch zeitgemäß? - Die Severinusmesse

Dienstagabend in St. Severin: Die Gläubigen versammeln sich im Hochchor zur Messe und nehmen wie die Stiftsherren des Mittelalters Platz im uralten Chorgestühl. Am Ende des Gottesdienstes schreiten sie zusammen mit dem Priester, Messdienerinnen und Messdienern in einer kleinen Prozession unter dem Schrein des hl. Severin und an den Reliquien vorbei, die in den dann geöffneten Schatzschränken des Hochchors zu sehen sind.

 

Dieses wöchentlich sich wiederholende Geschehen, wirkt auf Außenstehende bisweilen anziehend, manchmal auch skurril. Und doch ist es tatsächlich altes Brauchtum, verkörpert aber auch eine lebendige Tradition. Wie alt sie ist, lässt sich kaum genau bestimmen. Zweifelsohne geht die Severinusmesse aber darauf zurück, dass die Kirche St. Severin über dem Grab des hl. Severin (um 400 n. Chr. Bischof von Köln) errichtet wurde, und sich die wichtigsten Reliquien dieses Heiligen im Schrein befinden, der im Hochchor aufgestellt ist.

<em>Zwei der bei der Severinusmesse gezeigten Reliquien: 'Hörnchen' und angeblicher Stab des hl. Severin</em> Zwei der bei der Severinusmesse gezeigten Reliquien: 'Hörnchen' und angeblicher Stab des hl. Severin

Schon in der Legende des hl. Severin (9./10. Jahrhundert) ist die Rede davon, dass die Kölner "in jeder einzelnen Woche an einem bestimmten Tag zum Grab des hl. Severin kamen, damit sie für die ganze Woche durch seinen Schutz aufrecht gehalten werden". Ob man darin einen ersten, mehr als 1000 Jahre alten Hinweis auf die Ursprünge der heutigen Severinusmesse sehen kann? Wir sind da heute etwas vorsichtiger als die frühere Forschung, denn fürs Mittelalter sind die Belege insgesamt dünn, wenngleich schon 1219 der Montag als der Tag der wöchentlichen Severinusverehrung überliefert ist. Erst ab dem 17. Jahrhundert wissen wir besser Bescheid. Für 1729 ist sogar eine Gottesdienstordnung überliefert, aus der hervorgeht, dass jeden Montag in St. Severin neun Messen gelesen wurden in zum Teil halbstündigem Abstand, wozu "das Volk zahlreich in unsere Kirche strömt". 1741 wurde ein erstes Heft mit Liedern und Gebeten zur Severinusverehrung gedruckt. Ein zweites Heft wurde 1806 von dem bekannten Kunstsammler, Kanoniker und Professor Franz Ferdinand Wallraf zusammengestellt. Weitere Sammlungen von Gebeten und Liedern zur Severinusverehrung folgten im 20. Jahrhundert. Und derzeit entsteht wieder ein neues Heft mit Liedern und Texten.

 

Also eine beeindruckende Tradition der wöchentlichen Verehrung des Pfarr- und Kirchenpatrons, die viele hundert Jahre, vielleicht sogar bis ins Mittelalter zurückreicht. Indessen sind solche Traditionen, wenn sie lebendig sein wollen, alles andere als starre Formen, sondern unterliegen einem stetigen Wandlungsprozess, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden – und diese Veränderungen betreffen sowohl Form als auch Inhalt. So werden heute nicht mehr neun Messen gelesen, sondern eine Messe gefeiert, und dabei wird auch nicht mehr, wie in Wallrafs Heft von 1806 vorgesehen, für Kaiser Napoleon als Stifter ewigen Friedens auf Erden gebetet. Selbst der wöchentliche Termin hat sich in den letzten Jahrzehnten von Montag auf Dienstag verschoben.

<em>Schlussstein im Mittelschiff von St. Severin: hl. Kornelius</em> Schlussstein im Mittelschiff von St. Severin: hl. Kornelius

Neben der Bezeichnung Severinusmesse gibt es auch noch den Namen "Hörnchensmesse". Er leitet sich ab von einem der Reliquiare im Hochchor von St. Severin, an denen die kleine Prozession vorbeizieht. Beim "Hörnchen" handelt es sich um ein verziertes Büffelhorn, das um 1500 als Reliquiar hergerichtet wurde. Es verweist auf den hl. Kornelius – zusammen mit dem hl. Cyprian Kompatron von St. Severin –, denn ein Horn ist das herkömmliche Attribut des hl. Kornelius. Das wiederum ist auf die volksetymologische Ableitung des Namens "Cornelius" von lateinisch "cornu" (Horn) zurückzuführen.

 

Wenn die Gläubigen heute am Ende der Severinusmesse unterm Schrein und an den übrigen Reliquien vorbeiziehen, dann gewiss nicht mehr mit der Idee, man könne das Heil, welches von den Gebeinen ausgeht, auf sich übertragen – wohl aber in der Gewissheit, in einer langen gottesdienstlichen Tradition zu stehen und sich so in eine lange Kette von Betern vieler Generationen einzureihen. Dabei wird durchaus auch den Gebeinen verstorbener Menschen, die in wertvollen Reliquiaren geborgen sind, die Referenz erwiesen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und dahinter steht jedenfalls eine vollkommen andere Haltung zum menschlichen Körper und zum Leben an sich, als sie etwa menschenverachtende Regime und Ideologien der Moderne an den Tag legen.

Joachim Oepen

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