Zwischen Luxus und Tristesse
– Wohnen in der Südstadt damals
Ansicht der Vondelstraße mit dem Turm der Pauluskirche, 1930 (Foto: privat)Während die Bewohner des Severinsviertels sich im Laufe der Jahrhunderte mehr oder weniger natürlichen Prozessen folgend ansiedelten, geschah dies im Bereich der Neustadt, außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer, ab der Mitte der 1880er Jahre planmäßig. Dabei war die Ringstraße als Prachtboulevard einer wohlhabenden Bewohnerschaft vorbehalten. Gerade für Vermögende, die bis dahin in beengteren Wohnverhältnissen der Altstadt gelebt hatten, bedeuteten die Neubauten oft beträchtlichen Komfortgewinn. Die Anlage von Frischwasserleitungen, gespeist vom Wasserwerk am Zugweg, sowie die erstmalige Anlage eines Abwasserkanalsystems erlaubten jetzt auch den Einbau von Bädern und Toiletten. Die Versorgung mit Gas verbesserte die Beleuchtungsmöglichkeiten. Die Nutzung von elektrischem Strom blieb in den ersten Jahrzehnten zunächst sehr reichen Bürgern vorbehalten, wie sie in dem Villenviertel zwischen Vorgebirg- und Eifelstraße anzutreffen waren. Dort sorgten der Volksgarten auf der einen und der parkartig erweiterte Sachsenring auf der anderen Seite für hohe Wohnqualität. Die teilweise schlossähnlichen Villen wurden vorwiegend von Industriellenfamilien wie Stollwerck, von Guilleaume, Scheibler oder Hagen bewohnt. Nicht zuletzt das hiermit verbundene Repräsentationsbedürfnis bedeutete eine aufwändige Haushaltsführung, die nur mit Hausangestellten zu bewerkstelligen war. Die Dienerschaft, zumeist junge Frauen, lebten im gleichen Haus unter dem Dach oder in einem Anbau deutlich weniger komfortabel.
Volksgartenstraße, Postkarte von 1906 (privat)
Das Gebiet der späteren Pfarrei St. Maternus zwischen Bonner Straße und Rhein wurde vor allem
wegen seiner Nähe zur Universität am Ubierring als gutbürgerliches Viertel mit oftmals sehr
großzügig bemessenen Wohnungen geplant, das sich als repräsentative Allee über Roland- und
Volksgartenstraße fortsetzt.
Zwischen diese beiden wohlhabenden Bereiche wurde ein Arbeiterviertel platziert, in dem die
Wohnqualität durch den Güterbahnhof Bonntor, die Kaserne am Zugweg, Feuerwehr und städtischen
Fuhrpark beeinträchtigt war. Geradezu katastrophale Wohnverhältnisse herrschten in der
Arbeiterkolonie, die 1886 in der Elsaßstraße 35-47 entstand. Josef Klever, der spätere Pfarrer an
St. Severin, beschreibt die Situation 1921: … "175 Familien in 10 Teilhäusern, dazu die
meisten mit großer Kinderzahl; alle Zimmer sind nur höchstens 3x4 Meter groß, es fehlt Licht und
Luft und Sonne, es fehlt jegliche Möglichkeit zur Ordnung und Behaglichkeit, es fehlt darum auch
die Sonne des Familienlebens, weil Vater und Mutter, weil die heranwachsenden Söhne und Töchter
sich daheim in den kleinen, ungeordneten, fast unheimlichen Behausungen nicht wohlfühlen, darum
steht ihr Sinn nach draußen zum Vergnügen, zu Kino, Theater usw., um auf einige Augenblicke zu
vergessen, was sie zu Hause anekelt …"
Eine für heutige Menschen kaum vorstellbare Wohnungsnot herrschte später in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Menschen, die aus der Evakuierung zurückkehrten, mussten oftmals feststellen, dass ihre Wohnung von Fremden besetzt worden war. Andere hausten in notdürftig hergerichteten Ruinen ohne sanitäre Einrichtungen. Noch bis zu Beginn der 1960er Jahre befanden sich an Vorgebirgswall und Bonner Wall Notunterkünfte, wobei auch das später abgebrochene preußische Fort III genutzt wurde.
Die Zustände in den kleinen Koloniehäuschen schildert Dietmar T.:
Meine Eltern, mein Bruder und ich bezogen in so einem Häuschen im Juni 1959 ein Zimmer –
ca 15 m2 ohne fließendes Wasser und Toilette. Hier wurde gelebt, gekocht und geschlafen. Gewaschen
wurde sich in einer Waschschüssel. Das Wasser musste man sich in der Diele holen und auf einem
Kohleofen erwärmen. Die Toilette befand sich im Hof, sie wurde von den Besitzern mit uns als
Untermietern geteilt. Der Sommer 1959 war sehr heiß und dies bei einem Flachdach. Viele Menschen
verbrachten die Nächte vor den Häusern auf Liegen oder Matratzen. Ein besonderes Erlebnis war es,
als die Pfarrprozession von St. Paul durch die Gassen zog. Die Siedlungsbewohner hatten die Wege
mit Blumenteppichen ausgelegt, Fahnen, Kreuze und Madonnen in die Fenster gestellt. Auch ein
Zirkuswagen mit zwei Tigerbabys befand sich am Ende der Siedlung, von dem die wenigsten wussten,
auch nicht die Stadtverwaltung. Eines Tages fühlten sich die Tiere offenbar nicht mehr wohl in dem
Wagen, brachen aus und liefen durch die Siedlung. Die Aufregung war groß. Ein beträchtliches
Polizeiaufgebot fing die Tiger ein und brachte sie in den Kölner Zoo. Insgesamt ging es aber sehr
friedlich in der Siedlung zu.
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Martin v. Bongardt
» Mehr dazu im Buch des Autors:
St. Paul : Pfarr- und Baugeschichte einer Kirche in der Kölner Südstadt