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Mit Erinnerungen umgehen

Mit feuchten Augen erzählt Silvia B. über ihren weitläufig verwandten Onkel. Er und seine vor 12 Jahren verstorbene Frau waren wichtige Bezugspersonen für sie. Vor einem halben Jahr ist der 90jährige gestorben.

<em>©SilviaBins</em> ©SilviaBins

Ingrid Rasch: Du hast die Wohnung deines Onkels aufgelöst bei seinem Umzug ins Altenheim und später nach seinem Tod auch das Altenheimzimmer …
Silvia B.: Das war ein großer Unterschied! Mein Onkel wohnte in einem geräumigen Haus mit Garten – mit diesem Haus verbindet mich auch eine lange Geschichte. Seit ich denken kann, bin ich dort in diesem Haus ein und ausgegangen. Und bei der massiven Reduzierung war es für mich enorm schwierig herauszufinden, was ihm wichtig ist und was ich weggeben durfte, was ich entsorgen durfte und musste. Das war eine ganz undankbare Aufgabe, weil ich ihn nicht dazu befragen konnte, was er behalten möchte. Er wollte gar nicht zu viele Erinnerungen mitnehmen, aber brauchte ja auch Sachen für sein neues Zimmer im Altenheim. Nach seinem Tod stellte sich diese Frage nicht mehr, aber da kam natürlich die Trauer um ihn dazu.

 

Wie hast du das mit dem Ausräumen praktisch gemacht?
Das ging in mehreren Schritten: Zuerst war zu überlegen, was der Onkel in seinem neuen Zuhause im Altenheim braucht. Dann haben wir in der Familie überlegt, welche Dinge und Einrichtungsgegenstände wir als Erinnerung behalten wollen. Danach haben wir im Freundeskreis versucht, Dinge unterzubringen. Das war besonders gut, denn jetzt ist es schön, zum Beispiel die Werkbank des Onkels bei einem Freund zu sehen, eine schöne Tischdecke bei einer Freundin, einen selbst geschreinerten Schrank, sein Meisterstück, bei meinen Eltern … Nach den Freunden sind dann mehrere Flüchtlingsfamilien gekommen, die viele Dinge dankbar mitgenommen haben. Er selbst hat nie gefragt, was mit seinen Sachen geschehen ist. Ich habe es auch nicht angesprochen, weil es zu schmerzlich für ihn war. Nach seinem Tod habe ich die zum Teil sehr hochwertige Kleidung sehr bewusst ins Johanneshaus gegeben.
Ganz besonders schwer war für mich als Fotografin, mit den annähernd hundert Fotoalben umzugehen. Die habe ich alle durchgesehen, und sie dann schweren Herzens weggeworfen. Aber nicht alle, einen Teil habe ich verwahrt und werde sie irgendwann noch mal durchgucken.

<em>©SilviaBins</em> ©SilviaBins

Wie hat er sich dein Onkel zurechtgefunden mit dem neuen Wohnen im Altenheim?
Er hat sich dort gut eingelebt, hat die Angebote des Hauses genutzt. Aber er wollte keine Besuche haben von Menschen, die nicht zum engen Familienkreis gehören. Ich habe ihn jede Woche einmal besucht. Er ist dann bald krank geworden – eine Krebserkrankung. Er hat sich entschieden, das nicht weiter untersuchen oder gar behandeln zu lassen. Er hat aufgehört zu essen, und wenige Tage vor seinem Tod hat er sich sehr zurückgezogen, lehnte jede Berührung ab, die ihm vorher wichtig war, so als ob er sich auf seinen Abschied vorbereiten wollte.

 

Hast du jetzt noch Kontakt zu dem Haus des Onkels?
Nein, es ist verkauft, und neue Leute wohnen dort. Mein Onkel hätte sehr gern gehabt, dass wir dorthin gezogen wären, aber wir wollen in der Südstadt bleiben. Wenn ich mit der Straßenbahn dort vorbeifahre, könnte ich das Haus sehen, gucke aber bewusst nicht hin, es fällt mir zu schwer. Auch die Fotos und Filme, die ich vom Haus gemacht habe, als meinen persönlichen Abschied (nach fast 40 Jahren Erinnerung) sind noch ungesehen. Zunächst muss die Trauer bewältigt sein, bevor ich mich der Erinnerung stellen kann.

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