Corneliusstraße - ein Haus erzählt
Hilde Henson-Sels, die Malerin dieses Bildes, hat lange Zeit im Severinsviertel gelebt.
Ich bin nicht nur das kleinste, sondern auch das älteste Haus in unserer Straße. Wann genau ich gebaut wurde, lässt sich nicht herausfinden, vermutlich bin ich deutlich mehr als 150 Jahre alt.
Auch wenn der Zahn der Zeit an mir genagt hat und Schmierfinken ihre Visitenkarten an meiner Fassade hinterlassen haben – ich stehe felsenfest.
Der Boden, auf dem ich gebaut wurde, steht unter Denkmalschutz; er gehört zum
römisch-fränkischen Gräberfeld um St. Severin. Später wurde auf dem Gelände Wein angebaut.
Im Jahre 1872 kam ich durch eine Stiftung in den Besitz der Pfarre St. Severin. Fräulein
Maria Helene Zilken hat bestimmt, dass nach ihrem Tod die Stiftung für die Besoldung der
Pfarr-Kapläne genutzt werden soll.
1930 wurde dem Mieter Herrn Abeck gekündigt, weil die Wohnung für den Unterküster Herrn Vianden benötigt wurde. Er hatte mit seiner Familie in einem kleinen Häuschen im Severinskloster gewohnt, das abgerissen werden sollte, um ein neues Pfarrheim zu bauen. Herr Vianden zog mit Frau und mit einem Sohn ein. Die anderen fünf Kinder waren schon erwachsen und wohnten nicht mehr bei ihren Eltern. In einem kleinen Verschlag über den beiden "Plumpsklos" im Hof hielt die Frau des Küsters Hühner.
Im zweiten Weltkrieg zog die Tochter des Küsters mit ihrer 9jährigen Tochter in die unteren beiden Zimmer ein. Die Fliegerangriffe verbrachten die Hausbewohner in meinem Keller, dort war auch der Durchbruch zum Nebenhaus. Manchmal verließen mich die Menschen und gingen während der Angriffe in die Krypta von St. Severin. Zum Glück konnten die Brandbomben, die auf mein Dach fielen, gelöscht werden, so dass den Menschen nur die üblichen Schäden (zerstörte Fensterscheiben, Putz von den Wänden, umgefallene Möbel) entstanden.
Während des Krieges fand in der ersten Etage auch Religionsunterricht statt. Sr. Canisia von
der Irmgardisschule durfte während der Nazizeit nicht mehr unterrichten und versammelte Kinder und
Mütter in Wohnungen, die noch zur Verfügung standen.
1952 und 1953 starb das Küsterehepaar. Die Wohnungsnot in Köln war groß, und so zog Familie
Nussbaum mit drei Töchtern in die Wohnung ein; in den Anbau über der Waschküche zog eine ältere
Dame, Frau Alberts. Zum Glück gab es dort eine Wasserleitung. Mit dem Wirtschaftswunder ging es für
alle aufwärts. Nach dem Auszug von Frau Alberts wurde im Anbau ein Badezimmer eingerichtet mit
Toilette – welch ein Luxus in der damaligen Zeit! Für die Töchter wurden zwei Mansardenzimmer
eingerichtet. Bei Nussbaums war es gemütlich und lustig.
1976 wurde das Haus leer. Bald aber zog Familie A. mit drei Töchtern ein. Eine Heizung wurde
eingebaut und vieles erneuert: Strom, Wasser, Fußböden und mehr.
1993 trat der Rhein aus seinem Bett, das Grundwasser machte sich in meinem Keller breit, der
Strom fiel aus, das Haus wurde dunkel und kalt – und das an Heiligabend! Was dann passierte,
war ein kleines Wunder: Gegen 24 Uhr wurde es lebhaft in meinen Räumen. Es wurden Schwimmkerzen in
Gläsern überall verteilt, Menschen kamen mit Kannen voll Tee und Kaffee, sogar geschlagene Sahne
und Whisky für Irish Coffee brachten sie mit. Das Leben in mir pulsierte wieder.
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Rosemarie A.