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... denn er ist wie du

Pastoralreferent Benedikt Kremp schaut zurück auf seine Erfahrungen mit Fremdheit und Vertrautheit bei seinem beruflichen Neustart in der Gemeinde.

Ein Abend im August 2015. Heißes Wetter. Getränke auf einem Tisch, eine Gruppe von Menschen darum ins Gespräch vertieft: Die Rede ist von der ersten Redaktionssitzung für diesen Pfarrbrief.
Im Sommer 2014 gab es fast die gleiche Situation – mit einem Unterschied: Ich war neu in das Redaktionsteam (und diese Pfarrei) gekommen. Die beiden fast identischen Gesprächssituationen fühlten sich für mich komplett unterschiedlich an. Im Sommer diesen Jahres saß ich entspannt und in gelöster Selbstverständlichkeit mit den anderen zusammen. Das wäre ein Jahr zuvor so nicht möglich gewesen.

Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Anders gefragt – wie schaffen Menschen es, die Fremdheit zu überwinden?
Vielleicht ist es eine der größten Kulturleistungen des Menschen, dass er in der Lage ist, sich neue Situationen und Menschen vertraut zu machen.

 

Die eingangs geschilderte Situation der Redaktionssitzung brachte uns ins Nachdenken über diesen Prozess. Bei meiner Ankunft in der Pfarrei waren mir Gesichter und Namen fremd. Das Beziehungsgeflecht der Menschen untereinander erschloss sich mir erst nach und nach. Die unausgesprochenen Regeln der Gruppe konnte ich nur erahnen. Ich hatte noch keine Möglichkeit, zu den Mitgliedern der Gruppe einen persönlichen ersten Kontakt aufzubauen.

 

In einer der politischen Reden zur Flüchtlingsproblematik fiel der bemerkenswerte Satz: "Fremd sind einem Menschen, bei denen man noch nicht die Gelegenheit hatte, sie kennenzulernen."
Ich hatte im vergangenen Jahr die Gelegenheit, viele Menschen – sicher in ganz unterschiedlicher Intensität – kennenzulernen.
Nach und nach entwickelt sich ein "Beziehungsnetz" aus unterschiedlich starken Fäden. Erste Konflikte und Klärungen lassen den ein oder anderen Beziehungsfaden noch mal neu oder anders knüpfen. Spannend ist, wie ich mich selbst anders erlebe – bis hin zu veränderter Körperspannung, wenn mir eine Situation und Gruppe mit der Zeit vertraut geworden ist.

 

Vertrautheit wächst über ein erstes Kennenlernen, Wecken von Sympathien oder Vorbehalten, über Gespräche, in denen gegenseitiges Verstehen stattfindet, in denen wir uns unterschwellig über Wertigkeiten austauschen und vielleicht Übereinstimmungen finden. Die gemeinsam verbrachte Zeit, gemeinsame Erlebnisse lassen Beziehung wachsen. Spannend ist auch herauszufinden, auf welcher Ebene man mit einzelnen Menschen in Kontakt kommt, worum sich Gespräche drehen, wie nah oder distanziert sich die Beziehung stimmig anfühlt, was fremd bleibt.

Es braucht Zeit, Vertrautheit und Kontakt zu finden.
Es braucht Zeit, Vertrautheit und Kontakt zu finden.

Was ich hier schildere, ist ein ganz normaler Vorgang, der tausendfach täglich stattfindet, wo Kinder in eine neue Klasse kommen, Menschen eine neue Arbeitsstelle antreten, wo jemand in ein neues Wohnumfeld zieht usw.
Wie viel höher ist die Hürde für Menschen, die in ein neues Land oder gar einen anderen Kulturkreis ziehen bzw. aufgrund von Flucht dorthin gelangen? Wie viel höher ist die Hürde, wenn die Sprache zur Barriere wird, Unterbringung und oder fehlende finanzielle Ressourcen wenig Spielraum geben, am Leben unserer Gesellschaft teilzunehmen? Wie viel Fremdheit und Gleichgültigkeit kann ein Mensch ertragen, gerade wenn er jung ist?
Im Zentrum unserer Religion stehen die Gebote der Gottesliebe und der Nächstenliebe.
Wenn es da heißt: "Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst" können wir vielleicht treffender übersetzten: "Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du." Es geht also darum, immer wieder herauszufinden, wo die Verbundenheit zum Nächsten liegt. Das Gespür für die Verbundenheit der Menschen untereinander und darin mit dem Göttlichen – das ist die Wurzel der Religionen. Fremdheit zu überwinden ist nicht nur ein "Trick" zum gelingenden Zusammenleben.

 

Albert Camus formuliert es in seinem Roman "Der Fremde" so: "Als ich spürte, wie ähnlich sie (die Welt) mir war, wie brüderlich letzten Endes, habe ich gefühlt, dass ich glücklich gewesen war und dass ich es noch war."

Benedikt Kremp

 
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