Christoph Schmitz im Gespräch mit Rolf Zavelberg und Markus Stockhausen (v. links). ©SilviaBins
Können Sie auch als Musiker mit den Begriffen Weite und Offenheit, wie der Kirchraum sie
anbietet, etwas anfangen?
Stockhausen:
Ja, durchaus. Ich habe eine natürliche Neigung zum Spirituellen. Ich spiele seit langem die
Hälfte meiner Konzerte in Kirchen. Die Akustik des Innenraums von Sankt Maternus kam mir immer sehr
entgegen. Es gibt einen Hall von etwa sieben Sekunden. Das heißt ich kann einen Ton spielen, und
der Ton steht für eine ganze Weile im Raum. Und ich kann andere Töne hinzufügen, die dann alle
zusammen einen Akkord bilden. Wenn ich dann im weiteren Verlauf bestimmte Töne wähle, kann ich
Akkordfortsetzungen zum Klingen bringen. Ich bin also in der Lage, eine harmonische Entwicklung zu
skizzieren. Das habe ich oft gemacht und daraus eine Art Technik entwickelt, dass ich nämlich
beispielsweise höhere, lautere Töne spiele, dann leisere drunter. Die höheren lauteren Töne bleiben
dann länger stehen, und die unteren verklingen schneller. So kann ich, während der obere Ton noch
erklingt, untere dazuspielen und damit den oberen immer wieder neu färben. Und die Obertöne können
sich in einer Kirche wie Sankt Maternus besonders stark entwickeln. Das ganze Spektrum der
Klangfarben blüht förmlich auf. Der besonders lange Nachhall in Maternus lädt auch dazu ein, Klänge
nachklingen zu lassen und stille Momente zwischen den Tönen auf natürliche Weise zu erzeugen. Dann
schwingt etwas fort, und dies nicht nur im Echo, sondern auch nach dem Echo. Man hört dem Nachklang
nach, und wenn er verebbt ist, hört man eine Stille, die aber keine leere Stille ist, sondern eine
erfüllte Stille. Die Stille lebt im Klang, und der Klang lebt in der Stille weiter. Das heißt, es
ist ein Geben und Nehmen zwischen Raum und Zeit.
Das klingt ja fast, als habe St. Maternus mythische Klangqualitäten.
Stockhausen:
Alles kommt ja aus der Stille. Die ganze Existenz kommt aus der Stille oder aus dem Sein, wie
Meister Eckhart sagen würde. Jede Form stammt aus dem Nichtsein, aus einer Leere, die eine andere
Art der Fülle ist. Es gibt ein Manifestwerden und ein Verschwinden. Das Leben geht immer wieder in
die Verbergung, habe ich einmal bei einem Mystiker gelesen. Das könnte man auch auf Maternus
bezogen sagen. Der Begriff der Stille ist die Basis, auf der alles stattfindet. Alle Phänomene des
Lebens erscheinen für mich aus dem Nichts und verwandeln sich wieder in ein Nichts.
Sie haben nun beide geschildert, wie Sie mit dem Raum von Maternus umgegangen sind. Haben
Sie bei Ihren Auftritten auch aufeinander reagiert?
Zavelberg:
Wir haben alle aufeinander reagiert, wir auf den Raum, der Raum auf uns und Markus und ich
aufeinander. Markus hat sich zu meinen Lichtinstallationen allerdings auf eine eher unbewusste Art
verhalten, weil er ja die Augen beim Spielen meistens geschlossen hält.
Stockhausen:
Wir haben als Musiker aber die generelle Atmosphäre des Kirchenraums mitbekommen. Und da wir
uns immer wieder auch durch den Kirchenraum bewegten, haben wir gesehen, was Rolf gemacht
hat.
Zavelberg:
Wenn ich einen Raum mit Licht gestalte, dann suche ich mir oft ganz bestimmte Stellen aus, an
denen ich Lichtakzente setze. Ich nehme die energetischen Schwingungen von Orten wahr. So bin ich
auch in Sankt Maternus vorgegangen. Ich habe meine Lichtgemälde in den Kirchenraum so platziert, um
seine Vibrationen zu verstärken. Diese Orte sind dann wie Akupunkturstellen der Kirche. Und wie
eine Akupunktur wirkt das kurzfristig, aber auch langfristig, wenn man die Nadeln wieder
wegnimmt.
Stockhausen:
Wenn ich zum Konzert in Maternus gekommen bin, ist Rolf Zavelberg mit seinen Leuten schon
zwei Tage dort herumgetigert, und sie haben den Raum mit Energie aufgeladen, die ich als Musiker
wiederum aufnehmen und weiterentwickeln konnte. Das ganze Energiefeld wurde durch meine intuitive
Musik, die ja eine gesteigerte Form der improvisierten Musik ist, intensiviert. Man befindet sich
in einem Kontinuum von Schwingungen. Das bezieht das Publikum immer mit ein. "Wie der Übergang in
eine andere Welt gestaltet sich der Eintritt in Sankt Maternus, und Stille wird plötzlich hörbar",
so hat es einmal der Musikjournalist Odilo Clausnitzer gesagt. Und dem würde ich voll und ganz
zustimmen.
Markus Stockhausen und Rolf Zavelberg, vielen Dank für das Gespräch.