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Die Kunst des Schmiedens

Wie wir dem Glück auf die Sprünge helfen können, das fragt der Journalist Christoph Schmitz, nachdem er den Film "The Cut" von Fatih Akin gesehen hat.
 ©SilviaBins
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Der Dorfschmied Nazaret Manoogian hat Glück gehabt. Er ist mit dem Leben davon gekommen. Er wurde nicht abgeschlachtet. Er hat den Völkermord an den Armeniern 1916 im Osten des untergehenden osmanischen Reichs überlebt. Obwohl sich die Messerspitze des Henkers schon in seinen Hals gebohrt hatte. Eigentlich hätte der muslimische Soldat dem christlichen Nazaret auf Befehl des türkischen Offiziers die Kehle durchschneiden sollen. Den entscheidenden Schnitt führt er aber nicht aus und verhilft darüber hinaus dem schwerverletzten Mann in der Nacht unter Lebensgefahr zur Flucht.
Hunderttausende, möglicherweise über eine Million Christen sind dem Massenmord damals zum Opfer gefallen. Nazarets Überlebenschancen waren minimal – statistisch gesehen und aus der Ferne der historischen Distanz. Er hatte eben großes Glück.
Fatih Akin, einer der bedeutendsten deutschen Filmregisseure der Gegenwart, erzählt diese Geschichte in seinem neuen Film "The Cut". Seit Oktober läuft der Film in den Kinos. Aber von Nahem betrachtet ist das Glück des Nazaret Manoogian kein reiner Zufall. Das macht Fatih Akin immer wieder deutlich. Denn der potenzielle Mörder hatte sich entschieden, sein Opfer nicht zu töten und ihm zu helfen.

Das Glück ist eine Tat. Aus freiem Willen. Aus Überzeugung. Aus moralischer Verantwortung gegen die Zwänge der Verhältnisse.
Das erfährt Fatih Akins Held während seiner Odyssee immer wieder.
Nazaret durchstreift den Nahen Osten, um seine verschollenen Zwillingstöchter wiederzufinden. Seine Frau hat den Genozid nicht überlebt. Der völlig mittellose Familienvater, vom Stich in die Kehle stumm geworden, bündelt seine letzten Kräfte, konzentriert seinen ganzen Willen einzig auf dieses eine Ziel: seine noch minderjährigen Kinder aufzuspüren und zu retten. Er will das Schicksal der Mädchen nicht dem blinden Zufall überlassen. Er will für einen glücklichen Ausgang sorgen. Auch in den aussichtslosesten Momenten lässt er sich davon nicht abbringen. Und hat wieder Glück.
Da ist der muslimische Händler in Aleppo, der ihn aufnimmt und aufpäppelt. Da sind die Ordensschwestern in Beirut, die den Waisen des Völkermords Zuflucht bieten und auch die Manoogian-Zwillinge aufgenommen und über Jahre beherbergt hatten. Nazaret folgt ihrer Spur, schifft sich nach Kuba ein, wo katholische Christen sich um exilierte Armenier kümmern. Und immer wieder sind es Zufälle und glückliche Umstände, die dem Filmhelden weiterhelfen. Zufälle und glückliche Umstände – von Menschen in die Wege geleitet, dem gleichgültigen Lauf der Ereignisse abgetrotzt.

Wir haben das Glück in der Hand, jedenfalls zum Teil, musste ich während des Films immer wieder denken.
Wir können dafür sorgen, dass Flüchtende Hilfe erfahren und eine neue Heimat finden. Wir, unsere Gesellschaften, unsere staatlichen Ordnungen können mittels der internationalen Politik in den Krisen- und Kriegsgebieten auf die Konfliktparteien einwirken und, wenn alle diplomatischen Mittel erfolglos ausgeschöpft sind, notfalls für den Frieden und das Recht des Menschen auf körperliche und seelische Unversehrtheit kämpfen, wenn Terrormilizen Tod und Verderben bringen.
Als Geschöpfe eines liebenden Gottes sind wir mit dem Geschenk der Freiheit und der Tatkraft ausgestattet.
Das hat mir Fatih Akins Film "The Cut" wieder klar gemacht. Wir können dem glücklichen Zufall auf die Sprünge helfen. Wir können mitwirken an einer Welt, damit sie sich mehr und mehr über kulturelle, ethnische, wirtschaftliche, politische, religiöse, konfessionelle und weltanschauliche Grenzen hinweg geschwisterlich zum Wohl des Einzelnen und aller entwickelt.

 

Was uns nicht gelingt – es wird nicht wenig sein – liegt in Gottes Hand, wie man so schön sagt. Aber ich vermute, dass Gott uns zu seinen Mitspielern in der Welt gemacht hat. Ohne ihn können wir nicht gewinnen, ohne uns will er nicht gewinnen. Nazaret fällt bei allem Leid, das über ihn kommt, zuerst einmal vom Glauben ab. Das verstehe ich gut. Am Schluss kann er ein wenig aufatmen. Er hat Glück gehabt, Glück bekommen und etwas dafür getan.

Christoph Schmitz

 
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