"Jeder ist seines Glückes Schmied" - das Sprichwort kennzeichnet die heutige Leistungsgesellschaft. Gelingen und Scheitern des Lebens liegt danach alleine in der Hand des einzelnen Menschen. Und die Kehrseite "Jeder ist an seiner Misere selber schuld" prägt konsequenterweise immer häufiger persönliches Handeln und Sozialpolitik.
Der Theologe und Kirchenlehrer Augustinus sieht dies anders. In seinem Buch "Über das glückliche
Leben" beschreibt er die Situation jedes Menschen als ein Geworfensein in diese Welt wie in ein
stürmisches, unberechenbares Meer.
Kein Mensch ist um Zustimmung zu seiner Geburt gebeten worden. Ohne eigenes Zutun und ohne eine Möglichkeit der Einflussnahme findet sich jeder Mensch vor
in einer Familie, ausgestattet mit Veranlagungen und Schwächen und einer begrenzten Lebenszeit.
Eine Schifffahrt auf hoher See ist geprägt von Wellen, Wind und unberechenbaren
Wetterwechseln. Stürme zwingen immer wieder dazu, andere Häfen als geplant anzulaufen. Ein
Schiffbruch kann nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.
Diese Unberechenbarkeit und Unbeherrschbarkeit des Meeres ist nicht nur bei Augustinus,
sondern bereits in den Psalmen ein Bild für die "Widerfahrnisse" eines Menschen auf seinem
Lebensweg.
Jedes menschliche Leben ist geprägt durch ein wellenartiges Auf und Ab von Glücksmomenten
und Enttäuschungen. Hoffnungen zerschlagen sich, heiß geliebte Pläne müssen aufgegeben werden. Grundsätzliche
Richtungswechsel, nicht immer freiwillig, sind einem menschlichen Leben nicht fremd. Eigenes
Unvermögen, ein Schuldigwerden, die schmerzliche Erfahrung eigener Grenzen und die Verletzbarkeit
durch Krankheit und Enttäuschungen sind aus einem menschlichen Leben nicht wegzudenken.
Der Theologe Johann Baptist Metz fragt sich in seinem Buch "Gottes-Passion", ob die
biblisch begründete Religion glücklich mache und kommt zu dem Resultat: "Ich zweifle!" Und er verweist dabei auf die Lebensgeschichten der Patriarchen, der Propheten und die des
Jesus von Nazareth, wie sie in der Bibel geschildert werden. Auch ihr Leben kennt das Unglück, das
Scheitern von Plänen und Hoffnungen, die Erfahrung von Ablehnung und Alleingelassensein. Ein
glückliches Leben sieht anders aus.
Für den an Gott Glaubenden stellt sich damit die Frage: "Was ist das für ein Gott, der
Menschen scheitern oder gar zerbrechen lässt, der Unheil und Böses zulässt, der unser Leben in
Grenzen setzt?" (Peter Schallenberg). Ist vielleicht im Plan der Schöpfung – wie Sigmund
Freud vermutet – die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, gar nicht vorgesehen?
Während Freud daraus die Konsequenz zieht: "Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu
schwer für uns; es bringt uns zu viel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben", sieht
Augustinus in der stürmischen See Gottes Fürsorge am Werk: "Hat uns Gott oder die Natur in diese
Welt wie in ein stürmisches Meer geworfen? (Wenn es so wäre), wie wenige könnten da erkennen, woran
sie sich halten und auf welchem Wege sie zurückkehren müssen, verschlüge nicht irgendwann ein Sturm
– den Toren scheinbar ein Unglück – die unkundigen Irrfahrer gegen Willen und
Widerstand ins heiß ersehnte Land?" Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben und auch
Scheitern gehören nach Augustinus zum menschlichen Leben, weil Gott die Menschen durch die
Zufälligkeiten des Lebensweges und das Scheitern führt, um sie zu einem Ziel gelangen zu lassen,
das nur er kennt.
Was uns häufig als Unglück erscheint, sind die Versuche Gottes, uns das Erreichen neuer
Ufer zu ermöglichen. Ohne diese Hoffnung auf einen Gott, der sich für die Menschen verantwortlich fühlt, ist, und
da hat Freud recht, das auferlegte Leben zu schwer.
Da für Gott jedes menschliche Leben unendlich kostbar ist, so gering und gescheitert es in
den eigenen Augen auch erscheinen mag, lässt er keinen Menschen endgültig scheitern. Am Ende steht
immer die Vollendung der von ihm in Gang gesetzten Schifffahrt des menschlichen Lebens. Zugegeben:
einfach macht er es uns damit nicht gerade.
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Barthel Schröder
Diakon (Nach Anregungen von Peter Schallenberg: "Herr lass mich nicht scheitern")