Unter Glück verstand der griechische Philosoph Aristoteles das Gelingen eines tüchtigen und in guter Gesinnung geführten Lebens. Viele Lebensentwürfe zielen heute auf diese Art von Glück ab. Das Evangelium sagt etwas anderes.
Auf den ersten Blick ist man mit einem theologischen Artikel über das Glück schnell fertig. In
den gängigen theologischen Standardwerken findet sich das Wort Glück weder im Inhaltsverzeichnis
noch im Stichwortregister. Die Erklärung liegt nahe: Auch im Neuen Testament sucht man das Wort
"Glück" vergeblich. Bei dem großen Theologen Thomas von Aquin hingegen findet sich der folgende
Gedanke:
"Glückseligkeit ist dasjenige, was der Mensch nicht nicht wollen kann ..."
Nachdem man einmal um die Ecke gedacht hat, merkt man: Er hat Recht! Wir
Menschen können gar nicht anders, als Glück zu erstreben. Das verbindet uns und stellt
zugleich eine Begrenzung dar. Wir können nicht aus unserer Haut.
Eine weitere Beobachtung kommt hinzu und führt weiter: Natürlich wollen wir glücklich sein. Aber
es gibt Dinge im Leben, die uns noch wichtiger werden können als unser Streben nach Glück –
z.B. die Liebe zu Menschen. Finden wir etwas im Leben, das uns so wertvoll ist, so gewinnt das
Streben nach Glück eine "nach- oder mitfolgende" Bedeutung. Bei dieser Beobachtung lohnt es sich zu
verweilen, denn sie enthält eine tiefe Weisheit:
Echtes Glück kommt zu uns, wenn wir im Leben etwas gefunden haben, das uns noch wichtiger ist
als das Glücksgefühl.
Ein Beispiel mag das deutlich machen: Eltern wollen nicht ein Kind, um sich glücklich zu
fühlen. Aber sie empfinden ein tiefes Glücksgefühl bei der Geburt eines Kindes.
Und was sagt uns die Bibel – das Neue Testament?
Jesus hatte offenbar gefunden, was ihm fraglos wertvoll war: Gott und die Menschen zu lieben.
Was das für ihn heißt, wird z.B. da deutlich, wo er Kranken und Ausgegrenzten begegnet. Oder
er preist die Barmherzigen selig und die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden (Matthäus
Kapitel 5, Verse 7.10).
Das ist nicht das Gleiche wie das Streben nach einem gelingenden Leben basierend auf
Tüchtigkeit und guter Gesinnung (wie die Definition von Aristoteles). Selig preist Jesus sie nicht,
weil ihr Leben besonders gut gelingt, sondern weil ihnen "das Himmelreich gehört". Und damit
spricht er von seinem sehnlichsten Anliegen – dem Reich Gottes, das mitten unter den Menschen
anbricht. Er spricht davon, dass Gott den Menschen nahe ist, wo sie ihn einlassen, wo das Reich
Gottes wachsen kann. Denn erst in dieser Nähe wird der Mensch ganz und (innerlich) heil, und erst
in dieser Nähe wird der Lebens-Durst wirklich gestillt.
Im Evangelium geht es darum, dass die Menschen "das Leben haben und es in Fülle haben"
(Johannes Kapitel 10, Vers 10). Dabei denkt man sicher zu Recht an all den freudigen Reichtum des
Lebens.
Das Johannesevangelium macht aber in seinem Verlauf deutlich, dass damit das ganze Leben mit
seinen Höhen und Dunkelseiten gemeint ist. Wer lebt, ist eingebunden in das große "Stirb und
Werde". Wer lebt, der kennt nicht nur die freudige Begrüßung, sondern auch den Abschied und die
Traurigkeit.
Sich so auf das Leben einlassen, wirklich in Beziehung zu sein mit Gott, den Menschen, der
Welt – das ist gar nicht so einfach. So lange wir an unseren Lebensumständen
"kleben", mangelt es uns an der inneren
Freiheit, in der Beziehung entstehen kann. Diese innere Freiheit wird uns erst näher- kommen,
wenn wir uns darin üben, innerlich das loszulassen, was wir festhalten wollen, und anzunehmen, was
uns im Leben entgegenkommt. Was heißt das heute?
Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit liegt wohl darin, mit der Vielzahl an
Lebensmöglichkeiten umzugehen, die vielen von uns offen stehen. Was einerseits Chance ist, kann zur
Quelle von Unzufriedenheit werden, wenn wir ständig im Status von "ich könnte ja auch ..." oder
"vielleicht sollte ich doch besser ..." leben. Auch hier hilft es loszulassen. Auch das ist das
Leben, dass wir nur einen Weg gehen und nicht alle möglichen Wege auf einmal.