Für Sie gelesen ...
Kirsten Boie / Jutta Bauer
Ein mittelschönes Leben
Die Hamburger Autorin vieler Kinderbücher Kirsten Boie und die Cartoonistin Jutta Bauer haben das Thema Obdachlosigkeit in diesem kleinen Büchlein mit dem ungewöhnlichen Titel einfühlsam und berührend aufgegriffen. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre für Kinder im Grundschulalter – und auch für Erwachsene. In einfachen, klaren Worten und liebevollen Zeichnungen entsteht für die Leser der Weg eines „bürgerlichen“ Menschen in die Obdachlosigkeit: Ein Mann, der alles hatte, einen Job, eine Wohnung, eine Frau und zwei Kinder und der schließlich alles verliert...
Eine wichtige Ergänzung des erzählten Schicksals sind die im Anhang aufgeführten Fragen von Grundschulkindern und die Antworten obdachloser Menschen.
Marianne Ricking
Othmar Keel
Jerusalem und der eine Gott
Das Werden des Glaubens an den einen Gott
Der Glaube an den einen Gott, der Juden, Christen und Muslime verbindet, ist nicht als etwas Fertiges vom Himmel gefallen, sondern hat sich entwickelt aus vielen Wurzeln, wie der Alttestamentler Othmar Keel in seinem gerade erschienen Buch „Jerusalem und der eine Gott“ überzeugend nachweist. Er zeigt, wie der Glaube an den einen Gott aus dem Glauben an viele Götter „herausgewachsen ist und diesem viel an Erfahrungen, Einsichten, Bildern und Symbolen verdankt“ (S. 120). Und es ist spannend und interessant zu sehen, wie viel an Spuren dieser Wurzeln noch heute im Alten Testament zu finden sind.
Der Name Jerusalem bezeichnet die Stadt als „Gründung Schalems“, dem Gott der Morgen- und Abendröte. Der Name Jerusalem zeigt, dass in dieser Stadt die Sonne kultisch verehrt wurde, und damit wird auch die überraschende Ost-West-Ausrichtung des Jerusalemer Tempels verständlich. Wir müssen davon ausgehen, dass König Salomon im Freilichtheiligtum des Sonnengottes, für den Sonnengott und für JHWH* ein Haus baute: „Damals sprach Salomo über das Haus, als er es zu bauen vollendet hatte: Die Sonne(ngottheit) hat am Himmel kundgetan: JHWH hat gesagt, er wolle im Dunklen thronen“ (1. Buch der Könige 8,12f).
In diesem Haus gab es zwei Kultsymbole: einen leeren Thron für den Sonnengott und die Lade mit zwei bildlosen Steinstelen für den Sturmgott JHWH, wie ihn der Psalm 104 beschreibt. „Schon von Anfang an oder zu einem späteren Zeitpunkt wurde die Lade quasi als Schemel unter den leeren Thron gestellt und aus den zwei Kultsymbolen wurde eines“ (S. 57), d.h. zu irgendeinem Zeitpunkt wurde JHWH mit dem Sonnengott identifiziert, d.h. die zwei damals wichtigsten Theologien, die Sonnengott- und die Sturmgott-Theologie, wurden zusammengeführt.
Selbst beim JHWH-Kult selbst lassen sich nach Otmar Keel noch zwei Wurzeln erkennen. Im südlichen Teil des Landes wurde JHWH mit dem Sturm- und Kriegsgott Baal identifiziert, wie die Namen Eschbaal und Meribbaal in der Familie des Königs Saul belegen. Im Norden hingegen wurde JHWH als Gott des Auszugs aus Ägypten verehrt.
Es spricht zudem einiges dafür, dass die beiden bildlosen Steinstelen in der Lade zu Beginn JHWH und die Göttin Cheba, eine Göttin vom Typ der Aschera, repräsentierten. „Ihr Name dürfte im biblischen Chawwa (Eva) weiterleben, die in Gen 3,20 nicht nur „Mutter aller Menschen“, sondern „Mutter alles Lebendigen“ genannt wird ... Er passt besser zu einer Göttin als zu einer menschlichen Ahnfrau“ (S. 43).
Diese vielen unterschiedlichen Wurzeln, basierend auf vielfältigen Erfahrungen, zeitbedingten Einsichten, geliebten Bildern und Symbolen wurden zusammengeführt zu dem uns tragenden Glauben an den einen Gott: „Die Offenbarung des Monotheismus ist nicht erfolgt, indem Gott auf Hebräisch vom Gottesberg herunter gerufen hat, er sei der eine und einzige, sondern indem die Propheten Israels ... in einem längeren Prozess zunehmend deutlich zur Überzeugung kamen, dass die Vielfalt der Phänomene natürlicher und geschichtlicher Art nicht auf viele Mächte, sondern auf eine einzige Macht zurückzuführen sei“ (S. 118).
Die Ergebnisse der Forschungen von Otmar Keel lassen vieles neu und anders sehen. Sie sind kein Grund zum Erschrecken. Gott bleibt sich selbst treu. Wie Werden und Vergehen die gesamte Welt und unser Leben prägen, so prägen sie auch unser Wissen von Gott und unserem Glauben. Theologie als Lehre von Gott und der Glaube müssen sich nach dem Willen Gottes weiterentwickeln, wollen sie lebendig bleiben.
Barthel Schröder
JHWH ist der Eigenname des Gottes Israels in der hebräischen Bibel. Er darf im Judentum nicht ausgesprochen werden und wird daher beim lesen durch „Herr“ oder „Ewiger“ ersetzt.