Warum haben Sie den Namen "Gubbio" für die Obdachlosenseelsorge gewählt?
Es gibt eine Legende aus dem Leben des Heiligen Franz von Assisi: Ein Wolf hat die Einwohner
der Stadt Gubbio bedroht – er soll nicht nur Tiere, sondern auch Menschen verschlungen haben, und
niemand wagte sich mehr aus der Stadt. Franziskus ist ihm furchtlos entgegengetreten und hat ihm im
Namen Gottes Einhalt geboten. Der Wolf und die Bewohner der Stadt haben sich versöhnt. Der Wolf
gelobte Frieden und die Bewohner gelobten, ihn zu ernähren. Franziskus lamentiert oder predigt
nicht, sondern er handelt in großem Gottvertrauen beherzt und mutig. Er konfrontiert den Wolf mit
seinem Tun, und gleichzeitig wagt er es, ihm vollkommen gewaltlos zu begegnen. Diesem Beispiel
versuchen wir zu folgen.
Kann man sagen, dass die Menschen, mitdenen Sie zu tun haben, entwurzelt sind?
Es gibt gar nicht viele allgemeingültige Aussagen über die Menschen, die wir hier oder auf
der Straße treffen. Wer Arbeit, Partner und Kinder und schließlich auch noch die Wohnung verloren
hat, wer dazu dem Alkohol verfallen ist, dem fehlen sicherlich auch die Wurzeln.
In den letzten Jahren hat übrigens die Zahl der Menschen, die aus anderen Ländern, z.B. aus
Osteuropa, nach Köln gekommen sind und die hier keine feste Bleibe haben, sehr zugenommen. Manche
haben in ihren Heimatländern Not und Verfolgung erlitten. Sie sind nach hier gekommen, um Arbeit zu
finden. Das gelingt aber nur den wenigsten. Legal dürfen viele von ihnen auch gar nicht hier
arbeiten. Staatliche Transferleistungen erhalten sie nicht. Sie sind oft doppelt wurzellos, weil
ihnen das wichtige Moment der Sprache fehlt. Wir können sie dann auch nur schwer auf Hilfsangebote
aufmerksam machen, da sie uns ja nicht verstehen.
Was können Sie dann überhaupt leisten?
Manchmal können wir tatsächlich mit Menschen auf der Straße nur gemeinsam ihre Situation
aushalten.
Ist mit dem Finden einer Wohnung das Problem schon so gut wie gelöst?
Keinesfalls. Manche Menschen sind gewissermaßen in der Wohnungslosigkeit verwurzelt. Sie
haben viele Kontakte, sie kennen sich in allen Hilfseinrichtungen gut aus, man kennt sie, weiß
ihren Namen. Eine kleine Wohnung irgendwo am Stadtrand ist für sie nicht unbedingt erstrebenswert.
Sie würden befürchten, dort zu vereinsamen.
Können Sie durch ihre Arbeit dazu beitragen, dass Menschen wieder Wurzeln
schlagen?
Wer gerade erst obdachlos geworden ist, der hat gar nicht die Ruhe, seelsorgerische Angebote
anzunehmen Er hat ständig Termine, z.B. bei Behörden. Besonders schwer haben es auch psychisch
Kranke. Sie schaffen es oft nicht, Hilfe anzunehmen. Zu uns ins "Gubbio" kommen oft auch Menschen,
die ein wenig stabiler sind: ehemals Obdachlose oder Menschen, die akut von Obdachlosigkeit bedroht
sind, aber noch eine Wohnung haben. Die jenigen,die regelmäßig hierher kommen, haben hier eine Art
Verwurzelung. Sie empfinden "Gubbio" als ihre Gemeinde, obwohl wir das im eigentlichen Sinne gar
nicht sind. Sie bringen sich als Lektoren, Ministranten oder Küster ein. Sie halten die Kirche
sauber und übernehmen Aufgaben in der Küche. Sie tragen eine gewisse Verantwortung, auch wenn nicht
alle immer ganz zuverlässig sind. Ohne ihre Mitarbeit könnte vieles hier gar nicht stattfinden,
denn wir haben hier ja keine weiterenfesten Mitarbeiter. Das stärkt die Menschen. Sie erfahren
hier, dass sie etwas wert sind.
Fühlen sich obdachlose Menschen wertlos?
Sehr viele. Hier setzt unsere Arbeit an. Wir nehmen die Menschen zuerst einmal so, wie sie
sind. Und dann versuchen wir Ihnen zu vermitteln, dass Gottes Liebe auch für sie gilt, dass auch
sie etwas wert sind. Auch Jesus hat sich immer an die Seite der Ausgegrenzten gestellt. Unsere
Aufgabe besteht darin, zuzuhören, Trost zu spenden, miteinander zu reden und zu beten, Not mit
auszuhalten. aber auch zu notwendigen ersten Schritten zu ermutigen.