Christen ... verwurzelt im Judentum?
„... wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest und
damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel, so erhebe dich nicht über die anderen Zweige.
... Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“
(Römerbrief 11, 17-18)
Jesus war ein aramäisch sprechender Jude aus Galiläa und wollte nie etwas anderes sein. Seine
Bibel war unser Altes Testament, und deren Texte legte er aus, wenn er in den Synagogen
predigte.
Wie wichtig das Alte Testament für die Christen der ersten Generationen war, zeigt die Tatsache,
dass unser Neues Testament durchsetzt ist mit Zitaten aus dem Alten Testament. Würde man diese
Bezugnahmen entfernen, so würden seine Texte weitgehend unverständlich sein.
War Jesus zu seinen Lebzeiten ein Rabbi unter vielen, die mit ihren Schülern durch Israel zogen,
so wollten sein Tod und seine Auferweckung von den ihm Nachfolgenden „verstanden“
werden. Sprach seine Hinrichtung am Kreuz dafür, dass Gott ihn und seine Botschaft verworfen hatte,
so bewiesendie Erfahrungen eines wiederauferweckten Jesus das genaue Gegenteil.
Im Rückgriff auf die Texte des Alten Testamentes verstanden sie seinen schmählichen Tod als
Geschick des „Gottesknechtes im Buch des Propheten Jesaja“. Durch seine Auferweckung
wurde er zum lang verheißenen Messias, zum Sohn Gottes, in dem Gott den Menschen in unüberbietbarer
Weise nahe gekommen war. Ohne das Alte Testament wäre Leben und Schicksal dieses Wanderpredigers
aus Galiläa unverständlich geblieben.
Die Jesus Nachfolgenden waren zunächst eine eigene Gruppe im Judentum, die sich vonanderen nur
darin unterschied, dass sie in diesem Jesus von Nazareth den verheißenen Messias sahen. Diese
Überzeugung war nichts Einmaliges. Bis hinein in die Neuzeit hat es immer wieder derartige Gruppen
im Judentum gegeben. Die Jesus Nachfolgenden wurden in den ersten Jahrhunderten als eine jüdische
Sekte angesehen und nicht als eine neue Religion. Die Bezeichnung „Christen“ entstand
in der römischen Amtssprache zur besseren Unterscheidung und Überwachung jüdischer Gruppierungen.
Dabei verwechselten die Römer zwei ähnlich klingende griechische Worte. Sie sprachen von Chrestus
statt Christus. Diese Fremdbezeichnung wurde schließlich zur Eigenbezeichnung, so wurden aus
Chresten Christen.
Erst später kam es zur endgültigen Trennung. An der gemeinsamen Wurzel änderte sich dadurch
nichts. Und darum hat Papst Johannes Paul II. von den Juden auch als den „älteren
Brüdern“ gesprochen. Hieraus wird deutlich, wie furchtbar die Verfolgung der Juden gerade
durch Christen war, wie erschreckend, dass nur wenige Einhalt geboten. Der kölnische Pfarrer, der
die Thora-Rolle aus der brennenden Synagoge in der Roonstraße mit den Worten „dies ist doch
unsere Bibel“ rettete, hatte Paulus recht verstanden.
Barthel Schröder, Diakon