Das Gebet darf Antworten erwarten. In der Psalmensprache heißt es oft, dass Gott antwortet. Die
Antwort muss nicht in Worten bestehen, wie das Beten selbst nicht in Worten bestehen muss. Bert
Brecht setzt ein solches stummes und doch lautes Gebet in Szene, das zugleich ein Fürbittengebet
wird.
„Ja, wir können nix machen". Das sagt der Bauer in Brechts „Mutter Courage und ihre
Kinder", als die Soldaten kommen und sich anschicken, die nahe Stadt zusammenzuschießen. „Wir
können nix machen" – „Nix", schieben sich Bäuerin und Bauer hin und her, und dann sagt
die Bäuerin zur Tochter, Mutter Courage zur stummen Kattrin:
„Bet, armes Tier, bet! Wir können nix machen gegen das Blutvergießen. Wenn du schon nicht
reden kannst, kannst doch beten. Er hört dich, wenn dich keiner hört. Ich helf dir". Und dann beten
die Bauersleute: „Vater unser, der du bist im Himmel, hör unser Gebet, laß die Stadt nicht
umkommen mit alle, wo drinnen sind und schlummern und ahnen nix ...". Das Wort „nix" bleibt
das Leitwort des Redens und Betens. Doch die Sprachmächtigkeit derer, die beten und die, weil sie
weder der Gegenwehr noch der Grammatik mächtig sind, so beten, liegt auf diesem „nix".
„Gedenke", betet die Bäuerin, „gedenk der Kinder, wo bedroht sind, der allerkleinsten
besonders, der Greise, wo sich nicht rühren können, und aller Kreatur".
Und der Bauer schließt – konventionell und (so höre ich es) wie zum ersten Mal: „Und
vergib uns unserer Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Amen."
In diesem Gebet ist die stumme Kattrin (wie sollte es auch anders sein) stumm geblieben. Doch
die Bauersleute schließen sie in ihr Gebet mit ein; der Autor gibt mehrere Regieanweisungen,
Gesten der Solidarität mit der Stummen zu zeigen. Doch dann betet die stumme Kattrin selbst. Sie
betet nicht stumm, sondern laut – doch nicht in Worten. Ihr Gebet ist ein Trommeln; sie
trommelt die Stadt wach, sie trommelt, bis sie von den Soldaten für immer stumm gemacht wird. Doch
die Stadt ist gerettet.
In: Jürgen Ebach, „Neue Schriftstücke – Biblische Passagen", S. 212-214:
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh